Sonne, Schnee und Tote
vergessen würde. Die
Zeit schien für einen Augenblick stillzustehen. Sekunden und Minuten verloren
jede Bedeutung. Da war nur noch Niandees Wimmern, Fatmanours unregelmäßiges
Atmen, ein kaum wahrnehmbares Röcheln, das von Karim stammen mochte und
plötzlich auch das durchdringende Brummen eines startenden Generators irgendwo
in der Dunkelheit über Bloembergs Kopf. Dann war der Moment der Zeitlosigkeit
vorbei und wurde von der Realität eingeholt.
„Lebt
er noch? Was ist los? Brauchen wir einen Arzt? Unterstützung? Sonst
irgendwas?“, fragte Kees, während ihm ein feiner, kaum wahrnehmbarer, ungewöhnlich
süßlicher Geruch in die Nase stieg, über dessen Ursprung er nur rätseln konnte.
Es erinnerte ihn entfernt an jenes billige Aftershave, das Fred Maartens
regelmäßig entschieden zu exzessiv benutze.
Niandee
antwortete Bloemberg nicht. Sie schien ihn nicht hören zu können oder hören zu
wollen. Immerhin wandte sich ihm Fatmanour zu. Sie öffnete den Mund und schloss
ihn wieder. Den Bruchteil einer Sekunde zuckte ihr Augenlid, dann trat blankes
Entsetzen in ihr Gesicht.
Kees
verstand nicht und kam auch nicht mehr dazu, nach dem Grund zu fragen. Im
nächsten Augenblick spürte er einen kräftigen, schmerzhaften Stoß im Rücken,
verlor das Gleichgewicht, fiel vornüber und fand sich auf dem Boden wieder.
Irritiert fuhr er herum.
Da
stand er, breitbeinig und mit vorgehaltener Waffe im Türrahmen. Er trug einen
schwarzgrauen Zweireiher, der ihm deutlich zu groß war.
„Ich
wusste, dass du mich irgendwann hintergehen würdest, Fatmanour“, knurrte
Nasridim Hadosh, starrte seine Frau an und entsicherte die Pistole. „Ich
wusste, irgendwann kommt dieser Tag.“
„Nein
Nasri. Bitte, vergib mir. Ich wusste doch nicht … Du? … Aber, wieso?“
„Schweig!“
Der
Knall des abgefeuerten Schusses hallte ohrenbetäubend von den Wänden des
kleinen Raumes wieder. Fatmanours spitzer Schrei ging darin unter. Sie verlor
die Kontrolle über ihren Körper und stürzte hart zu Boden. Ihr Kleid rutschte
hoch und entblößte ihre nackten Beine. Die Kugel hatte ihr linkes Schienbein
oberhalb des Fußgelenkes durchschlagen. Blut schoss aus der Wunde auf die
weißen Fliesen.
„Nasri,
nein. Nein, Nasri. Bitte. Ich wusste doch nicht …“, stammelte Sie. Ihr Gesicht
verlor jede Farbe. Der Schock saß tief.
„Du
wusstest nicht, dass Ikbar und ich ihn hier heruntergebracht haben? Wusstest du
nicht?! Ich glaub dir nicht!“, schrie Nasridim und feuerte noch einen Schuss
ab. Eine Kugel in den anderen Fuß. Fatmanour stöhnte vor Schmerz.
Alles
passierte dermaßen schnell und unerwartet, dass Kees nicht reagieren konnte.
Als er doch endlich begriffen hatte, was hier vor sich ging und was Nasridim
dort tat, war er wie erstarrt. Die Szene war unwirklich, nicht begreifbar,
einfach schrecklich, geradezu grotesk. Der Mann war aus dem Nichts aufgetaucht,
hatte ihn umgestoßen und soeben auf seine eigene Frau geschossen.
Nur
langsam erwachte Kees aus seiner Trance. Er setzte sich auf und versuchte im
nächsten Moment aufzustehen, um dem Treiben ein Ende zu setzen.
„Hören
Sie auf, Hadosh. Hören Sie auf“, sagte er und kam auf die Beine. „Es sind schon
genug Personen zu Schaden gekommen, machen Sie es nicht noch schlimmer.“
„Noch
schlimmer?“
Nasridim
fuhr herum und mit ihm der Pistolenlauf, bis er auf Kees‘ Brust gerichtet war.
„Dich
großmäuligen Superpolizisten sollte mal jemand abschalten. Ich habe geahnt,
dass du nur Probleme machen würdest. Ich habe es geahnt und konnte doch nichts
tun. Dabei wäre alles vom Tisch gewesen, wärest du nicht heute Abend hier
aufgetaucht. Aber da du nun einmal da bist, kann dir meine liebe Frau auch noch
erzählen, wieso Karim hier unten ist.“
„Nasri
… Bitte … nicht …“
„Du
weißt es aber doch, du Hure!“
Ein
weiterer Knall, ein heißer Luftzug neben Bloembergs Ohr, zerspringende Fliesen
an der Wand hinter seinem Rücken.
„Nein
… Nein … Nein …“, wimmerte Fatmanour.
„Er
war genauso darin verwickelt. Er hat dafür gesorgt, dass alles schiefgelaufen
ist“, brüllte Nasridim. „Er hat mit Namir unter einer Decke gesteckt. Du weißt,
dass wir es tun mussten und du weißt, dass wir Karim früher oder später
beseitigen würden. Er hat Namirs Leichnam in Brand gesetzt. Er war dabei, als
wir die Geschichte mit Namir zu Ende gebracht haben. Er weiß zu viel. Die
Mexikaner haben Wind von der Sache bekommen. Stojic ist außer sich. Wir
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