Sonne, Schnee und Tote
Finger abnehmen. Er wird nie wieder sehen, vielleicht nicht mehr
sprechen können. Der Kerl wird kein normales Leben führen, hören Sie mich? Er
ist geliefert. Obendrauf ist seine Großmutter gestern Nachmittag verstorben.
Der Junge hat niemanden mehr … Sie haben Herrn Abusif keinen Gefallen getan.“
„Hätte
ich ihn zurücklassen sollen?“
„Nein!
Sie hätten gar nicht da sein sollen.“
„Die
Lösung des Falls lag im Keller des Gebäudes, die ganze Zeit vor unseren Augen,
Hoofdcommissaris. Hadosh und sein Sohn Ikbar haben unter dem Deckmantel der
Firma ihre Drogendeals abgewickelt. Wir hätten es sofort bemerken müssen. Das war
eine tief verwurzelte, kriminelle Geschichte. Namir hat …“
„Ich
habe genug von diesem Schwachsinn gehört“, polterte Van Houden sprang auf und
schlug mit der Faust auf den Schreibtisch, sodass es knallte.
„Wieso
sehen Sie ihre Fehler nicht ein, Bloemberg. Wieso können Sie nicht …?“
„Weil
ich keine Fehler begangen habe.“
„Blödsinn!
Blödsinn! Völliger Blödsinn! Und das wissen Sie. Sie haben Scheiße gebaut,
Inspecteur, einen riesigen Berg voller Scheiße.“
Der
Hauptkommissar schnaufte und setzte sich wieder hin. Einen Augenblick
verstummte er, nahm ein Blatt zwischen die Finger, überflog es und legte es
anschließend wieder beiseite.
„Giacomo
hatte eine kleine Tochter, wissen Sie das? Fünf Jahre alt. Die Kleine wird
wegen dieser Geschichte ohne Vater aufwachsen ...“
Kees
schüttelte den Kopf. Nicht, weil er nicht wusste, dass Toni Giacomo Vater
gewesen war, sondern wegen der Tatsachenverdrehung, die Van Houden just in
diesem Moment veranstaltete. Er hatte keine Polizeieinheit angefordert, hatte
nicht um Hilfe gebeten und zu allererst hatte er das Gebäude natürlich nicht
hochgehen lassen. Er war nur Teil eines großen Unglückes gewesen. Er war
genauso Opfer, aber das sah keiner. Die Bilder der letzten Nacht waren frisch
und schwirrten immer noch durch seinen Kopf. Abgesehen von seinen physischen
Verletzungen hatte sie sich nicht um ihn gekümmert. Er war geknickt, völlig am
Boden und seine Kollegen hatten nichts anderes zu tun, als weiter auf ihn
einzuschlagen. Niemand interessiert sich für das, was er hatte durchmachen
müssen. Er war der, auf den sie im Flur mit dem Finger zeigten und ihn dabei
anschauten, als habe er ihren Kollegen höchstpersönlich umgebracht. Kees war
zum Heulen zumute, aber er konnte nicht. Er konnte einfach nicht.
„Sie
sehen es immer noch nicht ein. Stimmt’s?“
Kees
schwieg. Er schaute seinem Vorgesetzten genau in die Augen, und versuchte darin
irgendeinen Hinweis darauf zu finden, dass es doch möglich war, vernünftig
miteinander zu reden. Er fand keinen, resignierte bald und hielt Van Houdens
Blick danach nur noch ein paar Sekunden stand.
Es
hatte einfach keinen Sinn, außerdem brachten ihn Schuldgefühle und
Kopfschmerzen beinahe um.
Er
wollte nur noch weg von hier. Nach Hause auf seine Couch mit der angebrochenen
Flasche Tequila und aller Einsamkeit, die er kriegen konnte.
Nicolas
van Houden kratzte sich am Kopf, sortierte das lichte Haar und traf dann eine
Entscheidung. Obgleich Bloemberg sicher war, dass diese bereits festgestanden
hatte, bevor er den Raum betreten hatte. Die Sätze, die im Folgenden fielen,
wären so oder so ausgesprochen worden, egal, was er getan oder gesagt hätte. Es
waren die zu ziehenden Konsequenzen. Irgendwer musste am Ende des Tages immer
die Rechnung bezahlen.
„Also
gut“, knurrte der Dicke. „Sie werden augenblicklich Ihr Büro räumen. Ihnen wird
ab sofort wieder ein Schreibtisch im Großraumbüro zugeteilt, und zwar in Sektor
C. Das ist der Bereich Verkehrspolizei, direkt neben den Sanitäreinrichtungen. Direkt daneben …“
Van
Houden ließ die Worte wirken, aber weil Bloemberg keine Gefühlsregung zeigte,
sah er sich genötigt noch einen obendrauf zu setzen.
„Wer
arbeitet wie ein Stück Scheiße, der sollte sich neben den Toiletten recht
wohlfühlen, will ich meinen. Sie werden auf unbestimmte Zeit von allen Aufgaben
im Ermittlungsdienst suspendiert. Ihr Gehalt wird gekürzt, dazu verhänge ich
eine Woche vollständige Suspendierung ohne Lohnfortzahlung. Danach wartet der
Dienst mit Arbeiten des Ordnungsamts und Büroarbeit auf Sie. Verlassen Sie sich
auf eines, Bloemberg. Sie werden viel Zeit bekommen, darüber nachzudenken, ob
es das wirklich wert war. Das ist alles. Sie können gehen.“
Kees
seufzte und erhob sich unter Schmerzen. Er hatte
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