Sonne, Schnee und Tote
zuzuschlagen. Sein ganzer Körper bebte.
Fatmanour schluchzte nur, sie schien eine weitere Attacke zu erwarten.
„Schau
mich an, wenn ich mit dir spreche!“
Seine
Hand sauste hinunter, aber statt sie zu schlagen, langte er nach ihrem
Kopftuch. Er riss es fort und griff mit der anderen Hand nach ihrem dichten
schwarzen Haar. Obwohl sie mittlerweile Mitte fünfzig war, zeigten sich nur
vereinzelt graue Strähnen darin.
Mit
einem Ruck wurde Fatmanours Kopf nach oben gerissen. Ihr entfuhr ein weiterer
spitzer Schrei, der erahnen ließ, dass Nasridim ihr wehtat. Sie hielt seinem
Blick lediglich für Sekunden stand, dann schlug sie die verheulten Augen
nieder.
„Schau
mich an!“
„Er
war ein guter Junge, Nasri. Er war ein guter Junge. Ein guter Junge. Warum?“,
wimmerte Fatmanour und starrte weiter auf die Füße ihres Mannes.
„Warum?!“
Nasridim
riss sie an den Haaren auf die Füße, dann zog er sie hinter sich her, ohne dass
sie auch nur die geringste Chance hatte, sich zu wehren. Nasridim war zwar alt,
mindestens zehn Jahre älter als sie selbst, aber dafür wesentlich größer und er
hatte immer noch einige Kraft, auch wenn man ihm die ganz und gar nicht ansah.
„Siehst
du das?“, fragte er mit zitternder Stimme. Er schleuderte sie gegen die
Arbeitsplatte des Schreibtisches und es war nur ihrer guten Reaktion zu
verdanken, dass sie sich mit den Händen abfing, bevor sie mit dem Kinn darauf
knallte. Wenige Zentimeter vor ihrer Nase lag ein Beutel mit weißem Pulver.
„Ich
… Ich weiß nicht … Ich …“, stammelte sie und spürte, wie ihr vor lauter Trauer
und Demütigung immer weiter heiße Tränen über das Gesicht rannen.
„Ich
sage es dir“, fauchte Nasridim und beugte sich zu ihr hinunter. „Das ist die
Wurzel des Übels. Das ist die Sünde, die Namir in unser Haus getragen hat.
Hintergangen wurden wir.“ Er tippte mit dem Zeigefinger auf dem Beutel herum.
„Das, Fatmanour, ist unser Untergang, wenn wir nicht ...“
Der
plötzlich einsetzende Gebäudealarm unterbrach ihn. Nasridim stutzte. Er hatte
ihn unmittelbar nach dem Abzug des Ermittlers wieder eingeschaltet. Niemand
sollte das Gebäude betreten, bis die Sachverständigen von der Versicherung da
gewesen waren, um sich ein Bild von dem entstandenen Schaden zu machen. Dass
der Signalton jetzt durch den Flur bis in Hadoshs temporär eingerichtetes Büro
drang, erschreckte ihn und versetzte ihn gleichzeitig in Alarmbereitschaft.
Er
ließ von seiner Frau ab und richtete sich auf. Das Geräusch schwoll weiter an,
dann ließ es kurz nach, nur um direkt wieder lauter zu werden.
Das
Signal war eindeutig. Jemand war im Gebäude. Jemand, der hier nichts zu suchen
hatte.
Nasridim
verlor keine Zeit. Er eilte hinüber zum Schreibtisch, riss eine Schublade auf
und zog eine Handfeuerwaffe heraus, neun Millimeter, Marke Sig Saur . Er
prüfte das Magazin und ließ es zurück in die Waffe gleiten, dann zischte er:
„Du bleibst hier, Fatmanour. Schließ die Tür ab und ruf Hoofdcommissaris Van
Houden an, die Durchwahlnummer ist im Telefon gespeichert. Ich fürchte das
Schlimmste.“
Fatmanour
hob hilflos die Arme, als wollte sie ihn aufhalten, aber sie brachte keinen Ton
heraus und so ging er einfach an ihr vorbei und verließ das Zimmer.
Im
Flur spähte er in beide Richtungen ohne etwas Verdächtiges zu bemerken. Die
Leuchtstoffröhren an der Decke warfen ein kaltes Licht an die weißen Wände. Und
abgesehen vom Alarm gab es keine weiteren Geräusche.
Nasridim
schluckte schwer. Er hatte eine vage Ahnung, wer den Alarm ausgelöst hatte und
wo. Mit vorgehaltener Waffe bewegte er sich in Richtung der Kühlkammern.
Sein
Atem ging langsam und ruhig, während das Herz in der Brust wild hämmerte. Er
versuchte nicht einmal zu kaschieren, dass ein Teil seines Bewusstseins mit der
Angst kämpfte, aber ein anderer war voll von Wut und Zorn und ließ ihn nicht
zögern.
Es
war sein Lebenswerk, das hier vor die Hunde ging. Alles, was er sich erarbeitet
hatte, lag danieder und es brauchte nicht mehr viel, um es endgültig zu
zerstören.
Das
würde er nicht zulassen. Er würde diesen Teufeln Einhalt gebieten und sie ein
für alle Mal vertreiben.
Nachdem
er sich so langsam wie vorsichtig durch den Flur bewegt hatte, erreichte er
endlich die Zwischentür. Dahinter würde der Kühlhauskomplex mit seinen drei
separaten Kühlräumen, Transportwegen, Liefereingang und Laderampe auf ihn
warten und vermutlich jene, die es zu beseitigen galt. Nasridim
Weitere Kostenlose Bücher