Sonne, Schnee und Tote
Stein
mit grauen Eingangstüren, eintönig weiß gerahmten Fenstern und abgeschrägten
schwarzen Dächern. Aus überlaufenden Dachkallen klatschte massenhaft Wasser
fünfzehn Meter tief auf ungepflegte Bürgersteige. An die Bäume entlang der
Straße hatte jemand Protestaufrufe gegen den Bau eines weiteren religiösen
Gebäudes getackert. Der Regen hatte den meisten von ihnen zugesetzt, sodass sie
kaum noch lesbar waren.
„Und
weiter“, antwortete der Funker empört und zog damit Bloembergs Aufmerksamkeit
wieder auf das Gerät.
„Sie
sollten nicht da sein, wo Sie sich gerade befinden, Inspecteur. Vor allem
sollten Sie nicht allein sein. Außerdem gibt es laut Aufzeichnungen keinen
vorliegenden Befehl Ihrer Dienststelle, sich in Feyenoord aufzuhalten. Sie
verstoßen gegen die Vorschriften, Mann!“
Kees
schüttelte den Kopf. Zu Beginn seiner Dienstzeit wäre dieser Sachverhalt nicht
einmal einen Funkspruch wert gewesen. Zugegeben: Es waren achtzehn Jahre
vergangen seit dem Abschluss seiner Ausbildung, aber damals konnte man noch
Verbrecher jagen, ohne dass man überall um Erlaubnis fragen musste. Seit
einigen Jahren jedoch nahm die Bürokratisierung und Korinthenkackerei immer
erschreckendere Ausmaße an. Statt sich auf die Überwachung von straffällig
gewordenen Personen zu konzentrieren, war nach und nach ein Überwachungssystem
aufgebaut worden, das nur dem Zweck diente, die eigenen Kollegen bis auf den
Meter genau überwachen zu können. Ohne Erlaubnis durfte man kaum noch auf die
Toilette, sofern die in einem anderen Bezirk lag. Der Sinn hinter dem Ganzen
war offiziell die bessere Vernetzung und schnellere Koordinierung der einzelnen
Polizeieinheiten. In Bloembergs Augen geschah eher Gegenteiliges. Polizisten
wurden in ihrer Arbeit behindert und zielführende Ermittlungen waren nur
möglich, wenn man immer wieder die Steine aus dem Weg schaffte, die
Verwaltungseinheiten und Kontrollorgane einem permanent in den Weg legten.
„Hören
Sie! Ich befinde mich mitten in einer Mordermittlung. Es ist wichtig, dass ich
mit einer gewissen Person spreche, die hier wohnt. Ich hoffe, sie hier
anzutreffen und bin in ein paar Minuten wieder auf dem Weg in meinen Bezirk.
Also kein Grund zur Aufregung.“
„Ich
denke schon, dass es allen Grund zur Aufregung gibt“, kam entrüsteter
Widerspruch aus dem PCS. „Sie sehen das wohl offensichtlich etwas lasch mit den
Vorschriften, Inspecteur. Ermittlungen sind ohne Anfrage nur in den
vorbestimmten Bezirken genehmigt. Eine Streife in potenziell gefährliche
Gebiete ist nur in Teams von zwei oder mehr Polizisten erlaubt. Beweisaufnahmen
außerhalb des eigenen Bezirks sind mit anderen Revieren im Großraum Rotterdam
abzusprechen. Die Fahndung nach Personen ist nur nach erfolgtem Befehl
statthaft. Sie verstoßen gerade gegen eine ganze Armada an geltenden
Dienstvorschriften.“
„Schön
aufgesagt, Junge. Hast du das große Polizeiregellehrbuch vor dir liegen?“,
feixte Bloemberg, stieß aber nur auf Unverständnis.
„Das
ist kein Pappenstiel, Inspecteur“, mahnte der Funker. „Ich sehe mich dazu
gezwungen, Meldung zu machen und werde umgehend Ihr Revier benachrichtigen.“
„Tun
Sie, was Sie nicht lassen können“, entgegnete Bloemberg. Er hatte genug von dem
Gesülze und klickte das Gespräch weg. Er steckte sich die schnurlose
Kommunikationseinheit des PCS an den Gürtel und prüfte seine Dienstwaffe im
Halfter, dann öffnete er die Wagentür. Der Regen trommelte vor ihm aufs
Bordsteinpflaster.
Was
für ein bescheidenes Wetter.
Kapitel 5
Wilhelmina-Pier Nasridim Hadosh schlug zu.
Er war wütend und all seine Aggression bündelte sich in diesem Moment in einem
Hieb mit der flachen Hand gegen die Wange seiner Frau. Die Wucht der Ohrfeige
war derart heftig, dass ihr Kopf zur Seite schnellte und ihr zierlicher Körper
ins Trudeln geriet. Mit einem unterdrückten Schmerzensschrei auf den Lippen
verlor sie das Gleichgewicht und fiel zu Boden.
Direkt,
nachdem Nasridim Inspecteur Bloemberg verabschiedet hatte, war er zurück ins
Gebäude geeilt. Fatmanour hatte ihn bloßgestellt, das war ein bitterer Moment
inmitten einer noch bitteren Gesamtsituation gewesen.
Warum
nur hat sie das getan?
„Was
fällt dir ein, mir Widerworte vor einem anderen Mann zu geben?! Was fällt dir
ein, mich vor der Polizei in Verlegenheit zu bringen?!“, brüllte Nasridim und
baute sich mit erhobener Faust vor ihr auf. Seine Wut schien grenzenlos. Er
hatte das Bedürfnis noch einmal
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