Sonne, Schnee und Tote
Kees Bloembergs
Laune besserte das nicht. Er hatte schlecht geschlafen, nach dem Aufstehen
nichts Essbares im Kühlschrank vorgefunden und sein Auto erst nach einer halben
Stunde voller Flüche und Drohungen zum Anspringen bewegen können. Doch das war
nicht allein der Grund für seinen Unmut. Er trug noch immer den gestrigen Groll
mit sich herum und hoffte für Van Houden, dass dieser ihm heute die Erklärungen
lieferte, die er Bloemberg bislang schuldig geblieben war.
Überpünktlich,
wie fast immer, stellte er sein Auto zwanzig Minuten vor Dienstbeginn ab und
begann seinen Arbeitstag.
Um
kurz nach halb neun, hörte er wie, Maartens Uhr ihre alltägliche Gehässigkeit
über Freds morgendliche Verspätung mit sich wiederholenden „HA! HA! Zu
spät!“-Rufen in den Flur hinausbrüllte.
Um
Punkt neun Uhr berief der Hauptkommissar eine interne Besprechung zum Mordfall
am Wilhelmina-Pier ein, an der neben Bloemberg nur noch Fred Maartens und zwei
weitere Personen teilnahmen. Den einen erkannte Kees sofort wieder. Der Mann
kam von der Spurensicherung und Bloemberg lag der Name auf der Zunge, den
anderen kannte er gar nicht. Er ging sogar so weit zu sagen, dass er diesen
Mann noch nie auf dem Revier gesehen hatte.
In
Van Houdens Büro waren verschiedene Tatortfotos und Aufnahmen der Leiche Namirs
vor und nach dem Brand auf ein Whiteboard gepinnt worden.
„Was
wir hier haben, ist einer der kompliziertesten Fälle, die ich in meinen dreißig
Dienstjahren erlebt habe“, begann Nicolas van Houden, nachdem er die Tür
geschlossen und den Lärm von draußen ausgesperrt hatte.
„Die
Beweislage ist dürftig, die Liste an Zeugen und Indizien kurz. Hinzu kommt,
dass Nasridim Hadosh gestern in Notwehr einen Einbrecher in den Räumlichkeiten
des Lagerhauses am Wilhelmina-Pier erschossen hat.“
„Weiß
man mittlerweile, wer der Erschossene ist?“, fragte Bloemberg. „Und wie erklärt
sich, dass der Mann mindestens zwei Kugeln genau in den Kopf bekommen hat?“
Van
Houden gebot ihm Einhalt und hob die Hand.
„Dazu
später mehr, Inspecteur. Jetzt geht es gerade lediglich darum, die Situation
grob zu umreißen. Damit wir wissen, an welchen Stellen wir ansetzen können, um
diesem Verbrechen auf die Spur zu kommen. Also, wir haben eine entstellte
Leiche, wir haben einen Beutel mit Kokain, den der alte Hadosh bei den
Unterlagen seines Sohnes gefunden hat. Wir haben einen spurlos verschwundenen
Mitarbeiter, Karim Abusif. Des Weiteren haben wir, wenn auch auf nicht ganz
dienstrechtlich korrektem Wege, die Erkenntnis gewonnen, dass Karim Abusif seit
Tagen nicht in seiner Wohnung war, was ihn zumindest verdächtig erscheinen
lässt. Wir haben außerdem mittlerweile die Auswertung der Branduntersuchung
vorliegen, in der ein hoher Anteil an Kokain an der verbrannten Leiche
festgestellt wurde. Außerdem die gesicherte Tatsache, dass der Brand von der
hochbrennbaren Substanz in Namir Hadoshs Händen ausgelöst worden ist. Dem Zeug,
das wir fälschlicherweise zu Anfang der Ermittlungen gar nicht bemerkten und
danach für einen gewöhnlichen Schneeball hielten. Nun, welches Bild ergibt sich
daraus?“
Der
Dicke schaute reihum die beiden Männer, Fred Maartens und schließlich Kees
Bloemberg an.
Commissaris
Maartens wirkte schläfrig, räusperte sich dennoch und gab in den folgenden
Minuten seine Meinung ab.
„Das
sieht für mich - trotz dünner Beweislage - absolut klar aus“, sagte er. Er
klang gelangweilt und überheblich, so als hätte er des Rätsels Lösung bereits
am letztem Samstag gefunden.
„Der
eine Kerl, dieser Abusif, hat unter der Hand krumme Dinger gedreht. Vermutlich
ist er einer dieser miesen Kokaindealer, die es in den Problemvierteln hier
überall gibt. Wie auch immer … Irgendwie ist ihm der Sohn des
Lagerhausbesitzers auf die Schliche gekommen, hat sogar Teile von Abusifs
Kokainbestand gefunden. Freitags, nach dem Ende der letzten Schicht, wird er
ihn zur Rede gestellt haben. Der Kerl ist dabei vermutlich ausgerastet. Es ist
allgemein bekannt, wie wichtig diesen Dealern die schnelle Belieferung ihrer
Kunden ist. Wenn es da zu Lieferverzögerungen kommt, suchen sich die Junkies
und selbst die Konsumenten aus der Oberschicht schnell andere Quellen. Aber der
junge Hadosh wird sich nicht von Abusif einschüchtern lassen haben. Schließlich
war er im Besitz von dessen Kokainbestand und er wird ihn vermutlich an einen
Ort gebracht haben, an dem dieser kleinkriminelle Wichser das Zeug nicht finden
konnte. Karim
Weitere Kostenlose Bücher