Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sonne, Schnee und Tote

Sonne, Schnee und Tote

Titel: Sonne, Schnee und Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Biesenbach
Vom Netzwerk:
Übelkeit stieg in ihm
auf. Bei dem Gedanken daran, dass Namir und Imar bald in die Obhut eines Mannes
gegeben werden würden, der den Behörden im Großraum Rotterdam als gewalttätig
bekannt war, kamen ihm die gerade vertilgten Pfannkuchen beinahe wieder hoch.
    „Wieso
ausgerechnet Hadosh?“, fragte er, griff nach Nicolas Hand und zog sie weg. Er
hatte zwar eine ziemlich genaue Ahnung, welche Beweggründe Nicolas trieben,
erwartete aber nicht, dass er ihm die Frage beantwortete. Also wartete er
nicht, ließ einen Fünf-Euroschein für die Pfannkuchen auf den Tisch fallen und ging
zum Ausgang. Dort verweilte er und sah Nicolas noch einmal an.
    „Ich
hoffe, du tust das Richtige. Das Richtige und Beste für alle und nicht nur für
dich.“
    „Das
werde ich.“
    „Bis‘
du dir da wirklich sicher?“
    Die
Augen der beiden ruhten noch einen Augenblick aufeinander, dann verließ Bert
das Pfannkuchenhaus und eilte die Straße hinunter. Er sah nicht zurück durch
die breite Glasfront, hinter der Nicolas wie festgefroren verharrte und ihm
hinterher starrte. Sein Blick heftete sich stattdessen auf das Pflaster der
Fußgängerzone, auf dem Schnee, Matsch, Streusalz und Eis lag. Er achtete trotz
des glatten Untergrunds kaum auf seine Schritte, eilte durch das dichter
werdende Schneetreiben davon und war bald außer Sichtweite ihres kurzfristig
festgelegten Treffpunktes gelangt.
    Seinen
alten, weißen Ford Fiesta hatte er in einem nahen Parkhaus abgestellt. Mit
einer Mischung aus Wut und Hilflosigkeit im Bauch stieg er ein. An der Ausfahrt
verfluchte er die Wucherpreise für das Parken sowie die neue Währung, Euro, die
erst vor wenigen Tagen den guten alten Gulden abgelöst hatte, und verließ mit
einigem Groll die Rotterdamer Innenstadt.
    Die
kleine Segelschule, die er seit beinahe fünfzehn Jahren, zusätzlich zu seinem
Engagement als Sozialarbeiter, betrieb, lag etwas außerhalb, einige Kilometer
südwestlich vom Stadtkern. Für die Jungs und Mädels aus den Vierteln, die er
und das Sozialamt dazu bewegen konnten, an den Kursen teilzunehmen, hatte man
extra eine Busverbindung eingerichtet, die mit (von der Stadt bezahlten) Jugendtickets
genutzt werden konnte. Jetzt im Winter kam kaum einer. Dabei spielte es keine
Rolle ob - wie heute - Schnee in rauen Mengen vom Himmel fiel, was in Rotterdam
zugegebenermaßen eine wahre Seltenheit in den letzten Jahren geworden war, oder
anderes Wetter herrschte. Der Grund für das Fernbleiben von Berts Klientel war
einfach ein anderer. Im Winter wurde kaum einmal gesegelt, vielmehr fielen
Arbeiten an, die die wenigsten Jugendlichen gerne erledigten. Darunter fiel zum Beispiel das Reinigen der Boote, das Knüpfen von
Netzen, das Flicken von Segeltuch und das Erlernen von Knoten und anderen
seemannsdienlichen Fertigkeiten. Im besten Fall konnten die Jugendlichen in
dieser Jahreszeit einige Trockenübungen machen, aber das war alles nicht das
Wahre.
    Es
war deshalb die Zeit des Jahres, während der Bert besonders dankbar über ein
Paar helfende Hände war. Er wurde langsam alt und spürte, wie die Energie aus
seinem Körper wich.
    Über
fünf Jahre hatte Kees Bloemberg in der Segelschule mit angepackt. So lange, bis
er vor zehn Jahren die Ausbildung bei der Polizei begonnen hatte. Seitdem hatte
Bert hin und wieder Jugendliche da gehabt, meist für ein halbes Jahr, manchmal
weniger. Bevor er Namir und Imar vor zwei Jahren unter seine Fittiche genommen
hatte, war er sogar für eineinhalb Jahre alleine mit seiner Arbeit geblieben.
Und nun würde mit der Adoption seiner beiden letzten Zöglinge das Projekt
Segelschule bald für immer zu Ende gehen. Ein Gedanke, mit dem er sich genauso
wenig anfreunden konnte, wie mit den Fakten, mit denen Van Houden ihn vorhin
konfrontiert hatte.
Durch jede weitere Überlegung in dieser Sache, jedes zusätzliche Empfinden und
jeden Funken gefühlter Demütigung, verfinsterte sich Berts Miene mehr. Letzten
Endes blieb jedoch einzig das Gefühl einer großen Hilflosigkeit.
    Im
Normalfall und bei gewohnt hohem Verkehrsaufkommen benötigte Van Helig, keine
zwanzig Minuten von der Innenstadt bis zur Segelschule. Heute jedoch machte ihm
das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Die Straßen waren glatt und
schneiten, trotz des unermüdlichen Einsatzes der Straßenräumung, immer wieder
zu. Die Autos schlichen mit der gebotenen Vorsicht über die Fahrbahn. Es war
keineswegs so, dass Bert ein ungeduldiges Gemüt hatte. Er war auch keiner
derjenigen, die einen

Weitere Kostenlose Bücher