Sonne über Wahi-Koura
zaghaft. »Die Sonne steht schon tief, die tohunga wird sicher gleich nach ihren Kräutern sehen. Es ist besser, wenn sie uns nicht entdeckt.«
»Ist gut, hilf mir bitte auf!«
Als Helena sich aufrichtete, kehrte der Schmerz zurück und das Ungeborene trat ein paarmal heftig gegen ihre Bauchdecke. Sie schnappte nach Luft, fing sich aber gleich wieder und machte sich mit Sarah auf den Heimweg.
Brütende Hitze lag auf Napier. Louise fächelte sich Luft zu. Seit dem Morgen fühlte sie sich seltsam. Sie konnte nicht genau sagen, warum. Es war, als läge ein Stein auf ihrer Brust. Wahrscheinlich ist das noch immer der Ärger über diesen Manson, dachte sie.
»Didier, fahren Sie diesmal nicht über die Hauptstraße!«
»Sehr wohl, Madame.«
Der Wagen machte einen Schlenker und bog in die nächste Seitenstraße ab. Louise nahm in Kauf, dass es ein Umweg zur Anwaltskanzlei war. Sie wollte sich nicht den neugierigen Blicken der Passanten aussetzen. Bestimmt hat Manson überall verbreitet, dass meine Männer seinen sauberen Verein von meinem Grundstück vertrieben haben, dachte sie und seufzte. Wer weiß, wie viele Leute er schon bekehrt hat.
Vor der Kanzlei von Jonathan Reed machte die Kutsche Halt. Louise stieg aus und betätigte die Türklingel.
Der junge Mann, der wenig später öffnete, war Reeds Gehilfe, ein schlaksiger Bursche, der erst vor kurzem aus Wellington gekommen war, wo er studiert hatte. »Guten Tag, Madame de Villiers, was kann ich für Sie tun?«
»Ich möchte Ihren Chef sprechen, wenn das möglich ist.«
Der Angestellte bat Louise herein, und während sie auf einem der Empirestühle Platz nahm, verschwand er im Sprechzimmer.
Jonathan Reed stürmte nicht mal eine Minute später herbei. »Madame de Villiers, es ist mir eine Freude, Sie zu sehen!«
Er gab seiner Mandantin einen formvollendeten Handkuss und bat sie in sein Büro.
Wie so oft bewunderte Louise auch heute wieder den maßgeschneiderten Anzug des Anwalts und seinen gepflegten Haarschnitt. Nur selten traf man in Napier noch Männer an, die ein gutes Aussehen als Selbstverständlichkeit betrachteten. Kein Stäubchen lag auf seinem blaugrauen Jackett. Die silbergraue Krawatte war tadellos gebunden und unterstrich seinen gebräunten Teint.
»Ich hoffe, es gibt keinen ernsten Anlass für Ihren Besuch.«
»Ich fürchte doch, Monsieur Reed«, entgegnete Louise. »Sie haben sicher vom Mord an der kleinen Grable gehört.«
»Ja. Bedauerliche Sache. Der Bursche wird seines Lebens nicht mehr froh werden.«
»Ich möchte, dass Sie ihn vertreten.«
Reeds Miene gefror. Ungläubigkeit stand in seinem Blick. »Ich soll ...«
»Ihn vertreten.«
»Gibt es einen bestimmten Grund dafür? Der Junge wird sich meine Dienste gewiss nicht leisten können.«
»Aber ich kann es. Es soll Ihr Schaden nicht sein, Monsieur Reed.«
Der Anwalt presste die Lippen zusammen. Seiner besten Mandantin mochte er nichts abschlagen. Aber einen Mörder zu verteidigen würde sein Ansehen nicht gerade steigern. Erst recht nicht, wenn es keine Aussichten gab, den Fall zu gewinnen.
»Ich weiß, dass Sie sehr großzügig sind, Madame. Aber darf ich erfahren, welches Interesse Sie an der Verteidigung eines Mörders haben?«
»Mein Interesse an diesem Fall ist rein egoistischer Natur. Der Junge hat die Tat im Vollrausch begangen. Sie wissen vielleicht, dass die Abstinenzler landesweit versuchen, die Winzer zu ruinieren und zu vertreiben. Dieser Prozess wird ein gefundenes Fressen für sie. Wer weiß, vielleicht kann dieser abscheuliche Manson auch noch den Staatsanwalt auf seine Seite ziehen. Ich sehe eine furchtbare Zeit auf uns zukommen, auf mich und alle Kollegen der Nordinsel. Deshalb möchte ich, dass der Mörder von einem Mann verteidigt wird, der es versteht, den Zorn von uns abzulenken. Nicht wir, die Weinerzeuger, sind die Schuldigen, sondern jene, die nicht Maß halten können.« Louise atmete tief durch. Ihr Herz klopfte so heftig, dass ihre Brust eng wurde, wie jedes Mal, wenn sie sich über die Prohibitionsbewegung aufregte.
»Ich glaube nicht, dass man Ihnen die Schuld geben wird, Madame«, versuchte Reed zu beschwichtigen.
»Das tut man bereits!«, brauste Louise auf. »Manson und seine Spießgesellen sind auf meinem Grundstück erschienen, um mir die Verantwortung für diesen Mord zuzuschieben. Meine Männer haben sie vertrieben, aber das wird sie nicht abhalten, weiter gegen mich zu agitieren.«
»Wenn Manson Sie bedroht, sollten Sie die Polizei
Weitere Kostenlose Bücher