Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sonne über Wahi-Koura

Sonne über Wahi-Koura

Titel: Sonne über Wahi-Koura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
Vom Netzwerk:
die Stadt.«
    »Und was ist mit den Maori, die in der Stadt leben?«
    »Die gehören zu einem anderen Stamm. Genauso wie Didier und ich. Unsere Stammesmitglieder wollen von den Engländern und Franzosen lernen.«
    »Und weshalb wollen es diese Menschen hier nicht?«
    »Sie glauben, dass der neue Gott ihre Götter vertreibt. Und sie haben Angst, dass von ihnen bald nichts mehr übrig ist.«
    Helena schwankte zwischen Faszination und Unglauben. In diesem Land, das die Engländer kolonialisiert hatten, sollte es tatsächlich noch Eingeborene geben, die davon unberührt geblieben waren?
    Ach, Liebster, warum hast du mir nicht mehr Geschichten von deinem Land erzählt?, dachte sie. Neuseeland ist so viel größer als dein Elternhaus, das von den Launen deiner Mutter beherrscht wird.
    Obwohl Helena das Gesagte nachdenklich gestimmt hatte, bat sie: »Lass uns in die Nähe des Dorfes gehen! Ich verspreche, ich werde das Ehrgefühl dieser Menschen nicht verletzen. Ich möchte nur sehen, wie sie leben.«
    Sarah war ganz offensichtlich nicht wohl dabei. Aber ihrer Herrin konnte sie keinen Wunsch abschlagen.
    Nach dem kleinen Imbiss setzten sie ihren Weg in westlicher Richtung fort. Wieder raschelte es rings um sie herum. Helena kam es vor, als sei der Busch erst jetzt richtig erwacht. Wie weit mögen wir von Louises Anwesen entfernt sein? Sie wollte sich den Weg merken, falls sie Lust verspürte, noch einmal herzukommen.
    »Weshalb kennst du dich hier so gut aus?«, fragte sie Sarah, die forsch wie ein erfahrener Sherpa voranschritt.
    »Ich verstehe nicht, Madam.«
    »Du hast mir doch erzählt, dass du einem anderen Stamm angehörst. Woher weißt du, wohin wir gehen müssen?«
    Sarah schritt schneller aus, als könne sie so der Frage entgehen. »Ich war schon mal hier. Als Kind.«
    Was hat sie damals nur hergeführt?, fragte sich Helena. Ob sich die Stämme untereinander besuchen?
    Eine Stunde später hatten sie die Lichtung weit hinter sich gelassen. Der Busch wurde zunehmend dichter. Hohe Farne säumten den Wegesrand. Keine ordnende Hand hatte die Büsche davon abgehalten, ihre Äste in alle Himmelsrichtungen zu strecken. Einige waren zu einem undurchdringlichen Dickicht verschlungen.
    »Und hier soll es einen Pfad geben?«
    »Ja. Er ist schwer zu finden. Weiße würden sich hier wahrscheinlich mit einer Machete durchhacken.«
    Auf so eine barbarische Idee wäre Helena nicht gekommen. Die hohen Büsche wirkten eher wie schützende Wände. Eine Schneise hineinzuschlagen würde einen Frevel gegen die Natur bedeuten.
    »Da entlang, Madam!«, rief Sarah nun und führte sie zu einem versteckten Durchgang.
    Es ist wie ein Tor zu einer verwunschenen Welt, dachte Helena, während sie sich durch das Blattwerk zwängte. Dahinter war es vollkommen still. Sie hörte nur ihre Schritte und ihren Atem. Wie schön wäre es gewesen, dies alles mit Laurent zu erkunden!, dachte sie.
    Hinter der Enge lichtete sich der Weg nur wenig. Das dichte Laub und die hohen Farne erschienen Helena wie die Wände eines Labyrinths, dessen Ausgang nur Sarah kannte. Über ihnen ertönte plötzlich ein fremdartiger Lärm, Rufe, die Helena keinem Tier zuordnen konnte. Der Waldboden war beinahe frei von Bewuchs, denn nur vereinzelt fielen Sonnenstrahlen durch das Grün.
    So wanderten sie eine Weile andächtig schweigend nebeneinander.
    »Wir müssten gleich da sein«, verkündete Sarah, als sie an einem Strauch mit exotischen weißen Blüten vorbeikamen.
    Ob dieses Gewächs so etwas wie eine Wegmarke war?
    Plötzlich stürmten zwei Männer aus dem Gebüsch und richteten Speere auf die beiden Frauen.
    Helena wich mit einem Aufschrei zurück.
    Sarah hob beschwichtigend die Hände.
    »›He aha to pirangi?«, fuhr ein Mann sie an.
    »Kei te pirangi ahau ki te marae«, antwortete Sarah.
    Der Sprecher verzog das Gesicht. Eine schnelle Unterhaltung zwischen ihm und dem Dienstmädchen folgte.
    Helena beobachtete die Szene ängstlich. Die Männer wirkten Furcht erregend mit ihren Tätowierungen, die sie auf der Brust, den Armen und auch im Gesicht trugen. Ihre langen schwarzen Haare waren durch Perlenschnüre gebändigt, und um den Hals trugen sie große Muscheln. Die Baströcke, die ihren Körper hüftabwärts bedeckten, hätten an Europäern lächerlich gewirkt. Zu diesen Menschen gehörten sie aber offensichtlich wie eine Rüstung zum Ritter.
    Ohne Sarah darf ich mich niemals hierherwagen, dachte Helena.
    Nach dem Wortwechsel traten die Männer schließlich

Weitere Kostenlose Bücher