Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun
Areal hinter dem Fenster verteilten. Es
erinnerte ihn an die komplizierte Mechanik der alten Armbanduhr seines Vaters. Ein jahrhundertealtes Erbstück. Zahnradgetriebe, Federwerk und kleine Gewichte, die in verschiedenen Kreisläufen vor sich hin arbeiteten und irgendwie ineinandergriffen, um die Zeiger im genauen Sekundentakt über das Zifferblatt zu bewegen. Loc hatte die Uhr geliebt, und obwohl sein Vater ihm oft versprochen hatte, dass er sie erben würde, wurde sie irgendwann versetzt, um eine Schuld zu bezahlen, und das war es dann gewesen. Eine brutale, aber lehrreiche Lektion. Binde dich an nichts und niemanden. Erwarte nichts außer dem, was du selbst schaffst oder erringst.
»Glauben Sie an Schicksal, Mr. Ifrahim?«, fragte Sri Hong-Owen. »Glauben Sie, dass unsere Schicksale von Strukturen und Kräften bestimmt werden, die wir nicht sehen können? Oder sind Sie der Auffassung, dass alles, was wir tun, nur von Zufälligkeit und Kontingenz abhängt?«
»Ich bin katholisch erzogen, Ma’am.«
»Mmm. Das ist eine hübsch ausweichende Antwort. Etwas anderes war wohl nicht zu erwarten. Ich habe schon vor langer Zeit verstanden, dass die Biologie uns lehrt, wie Zufall und Schicksal ineinandergreifen. Unsere Körper tragen den Abdruck von Myriaden von Möglichkeiten in sich, die willkürlich das Überleben und die Reproduktion bestimmter Gene begünstigen. Wenn man dazu in der Lage wäre, das große Lebensspiel bis zu einem bestimmten Punkt zurückzudrehen und es wieder in Gang zu setzen, würde nicht dasselbe dabei herauskommen. Es würde eine andere Geschichte erzählt. Dann noch einmal zurückdrehen und abspulen, und wieder würde sich eine andere Geschichte ergeben. Dieser Garten von Avernus ist eine Lektion über die Verbindung von Kontingenz und Schicksal. Ein Experiment, das so unwiederholbar ist wie das Leben auf der
Erde. Wie ich gesagt habe, den Polychinen fehlt die Entsprechung zur DNA – ein interner Speicher mit einer minimalen Bauanleitung, die man dazu benutzen kann, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Wenn sie zerstört werden, wird auch ihre Vergangenheit und ihre Zukunft zerstört; unwiederbringlich. Es sind Wesen eines ewigen, wenn auch sich stets wandelnden Jetzt. Doch ich werde die Gesetze entdecken, nach denen sie gestaltet sind. Ich werde sie von der Kontingenz befreien und ihnen eine Geschichte und ein Schicksal geben. Es gibt eine interessante Parallele, die man zwischen diesem Garten und der Gesellschaft der Außenweltler ziehen könnte. Die Außenweltler hatten gehofft, durch die Veränderung ihres Erbguts den Beschränkungen ihres Schicksals entfliehen zu können, das aus den Zufälligkeiten der menschlichen Entwicklung entstanden war. Der Krieg hat dem großen Experiment ein Ende gesetzt, weil wir befürchtet haben, dass sie zu Übermenschen werden könnten, etwas, das wir nicht mehr kontrollieren oder in Schach halten könnten, etwas, das unser Schicksal beeinflussen würde, ob wir wollten oder nicht. Indem wir diesen Garten und andere erforschen, können wir den Umfang ihres Wissens in Erfahrung bringen. Dann können wir sie auch kontrollieren. Da haben Sie Ihre Nützlichkeit, wenn Sie so wollen, obwohl ich bezweifle, dass der Oberst das überhaupt zu würdigen weiß.« Sri Hong-Owen sah an Loc vorbei und sagte: »Komm zu uns, Berry. Schleich nicht so herum.«
Der Junge löste sich zögerlich aus dem Eingangsbereich. Als Sri ihn fragte, was er von dem Garten hielt, sagte er, dass er den Roboter möge.
»Ich mag ihn auch«, sagte Sri. »Meine Assistenten arbeiten an einem System, mit dem ich ihn fernsteuern kann, so dass wir die Untersuchung der Polychine fortführen können,
egal, wo wir uns gerade befinden. Sie bleiben doch sicher über Nacht, Mr. Ifrahim? Wir müssen uns über Berrys Zukunft unterhalten.«
Als ob das seine Sorge sei, dachte Loc. Doch er hatte keine große Wahl. Sri Hong-Owen kontrollierte alles hier. Er hatte Oberst Malartes Erlaubnis gebraucht, um hierherzukommen, und er brauchte ihre Erlaubnis, um wieder abzureisen.
Gegessen wurde in einem Zelt, das mit halblebendigem Fell ausgelegt war, welches in Sitze und niedrige Tische überging. Sri Hong-Owens Assistenten waren freundliche, äußerst intelligente und hochmotivierte junge Leute, die voller Ehrfurcht vor ihr waren. Bis auf Antônio Maria Rodrigues waren alle Außenweltler; einer, Raphael, war ein androgynes Neutrum, groß und verwirrend attraktiv, dessen makellose Haut so blass und
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