Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun
Außensystem gelebt, und nach einigen Diskussionen war ihre Leiche nach Paris, Dione, gebracht worden, wo sie vor dem stillen Krieg ihre berühmte Friedenskampagne angeführt hatte.
Gekleidet in einen alten weißen Arbeitskittel, in dessen Brusttasche handgefertigte Stifte, Skalpelle und ein Rechenstab steckten, lag Avernus auf einem einfachen Gerüstbock, ihr faltiges Gesicht still und leer. Die Bahre war von Blumen umgeben, die von den Gästen dort abgelegt worden waren, als einer nach dem anderen an die Bahre herangetreten war, um der Toten die letzte Ehre zu erweisen. Ihr Begräbnis war eine zwanglose Feier, in der ihr Leben gewürdigt wurde. Jeder konnte sich an das Aufsichtspersonal wenden und darum bitten, an dem Pult vor der Bahre eine Rede halten zu dürfen, um der Toten zu gedenken, ihr für ihre Arbeit oder eine freundliche Geste zu danken oder ein paar Zeilen eines Gedichtes oder Prosatextes vorzulesen. Der beste Fado -Sänger von East of Eden gab einen langen Trauergesang zum Besten. Ein Streichquartett aus Rainbow Bridge, Kallisto, spielte Barbers Adagio . Ein Blechroboter
kam nach vorn gewankt, aus dessen Gelenken Dampf quoll. In einer gestenreichen Pantomime versuchte er, eine Blume zu pflanzen und sie mit einer Gießkanne zu gießen, aus der Kohlendioxidrauch aufstieg – ein Performancestück von einem der Mikrotheater von Paris. Und obwohl Avernus die Ansicht vertreten hatte, dass das Universum durch ein zufälliges Zusammenwirken von physikalischen Gesetzen und Eigenschaften entstanden war, gedachten Priester, Rabbis, Imame und Mönche der Toten auf ihre Weise, indem sie Gebete sprachen, Gebetsmühlen drehten, falsche Banknoten verbrannten und Kerzen und Weihrauchkegel anzündeten.
Am Ende des Tages trat Alder Topaz Hong-Owen an das Pult. Drohnen kamen herabgeflogen, um ihn zu filmen, und Stille senkte sich über die Menge. Er sprach in seiner gewohnten einfachen und direkten Weise zu der großen Menschenansammlung im Park und allen, die in der Stadt und auf den anderen Welten zusahen. Avernus hatte ihr Leben nicht nur einmal, sondern zweimal für den Frieden aufs Spiel gesetzt, sagte er. Das erste Mal in Paris, vor dem stillen Krieg, und dann ein weiteres Mal, als sie zur Erde zurückgekehrt war und sich der Untergrundbewegung angeschlossen hatte, die schließlich die Herrschaft der großen Familien gebrochen hatte. Sie hatte den Menschen Großbrasiliens nicht nur geholfen, ihre Freiheit zurückzuerlangen, sie hatte ihnen auch ein Geschenk gemacht, mit dessen Hilfe sie endlich die Wildnis erkunden konnten, die ihnen so lange verboten gewesen war. Natürlich mussten sie immer noch achtsam mit dem Land umgehen und weitgehend in den autarken Städten leben, aber die Städte waren nicht mehr länger Gefängnisse. Sie konnten zu Wanderjahren in den wiederaufgeforsteten und den noch nicht wiederhergestellten Gebieten aufbrechen und von einer Oase
zur nächsten reisen, deren Netzwerk sich über ganz Großbrasilien vom dreißigsten Breitengrad im Norden bis zu Tierra del Fuego im Süden erstreckte. Die Oasen befanden sich in Hainen einer neuen Variante des Menschenbaums, die Avernus geschaffen hatte. Die Bäume wuchsen in Tundren und Grasland, in Wüsten und auf hohen Bergen, gediehen an Orten, wo es bislang nur sehr wenig Leben gegeben hatte, und lieferten Nahrung, Wasser, Schutz und Kleidung. Avernus lebt nicht nur in unseren Erinnerungen fort, sagte Alder, sondern auch durch ihre Arbeit. In jeder Pflanze und jedem Tier, das sie berührt und verändert hat, in jedem Biom und Garten, den sie erschaffen hat, lebt sie weiter.
Nach seiner Rede traf sich Alder unter vier Augen mit Raphael, dem Vertreter, den seine Mutter geschickt hatte, und redete danach noch mit Dutzenden anderen Leuten. An einige erinnerte er sich aus der Zeit, als er mit seiner Mutter zum ersten Mal das Jupitersystem besucht hatte, vor dreiundzwanzig Jahren. Burton Delancey, die ihn – nachdem er sie verführt hatte – über Kallistos unebene und zerklüftete Mondoberfläche zu einem von Avernus’ geheimen Gärten gebracht hatte und die nun ein hochrangiges Mitglied des Senats von Kallisto war. Der alte Genzauberer Tymon Simonov aus Minos, Europa. Macy Minnot, der Alder noch nie leibhaftig begegnet war, über die er aber schon so viel gehört hatte, ihr Mann Newton Jones und ihr jüngster Sohn. Sie waren vor kurzem zum Titan umgezogen, wo Macy Gartenhabitate entwarf und beim Planoforming-Projekt mitarbeitete.
Die großen Lüster
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