Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun
Lesetafel gerichtet. Ihre Haare begannen bereits wieder nachzuwachsen. Ihre Kopfhaut war von winzigen schwarzen Stoppeln überzogen. Ein Plastikband umschloss ihren Hals. Es würde eine lähmende Ladung abgeben, wenn sie versuchen sollte, Sri anzugreifen oder sonst irgendetwas zu tun, das den Soldaten, die jede ihrer Bewegungen überwachten, nicht gefiel.
Sri sagte: »Du kannst andere Menschen sehr gut einschätzen, Yuli. Du solltest diese Gabe auch auf deine eigene Situation anwenden. Ich kann dir helfen. Und deiner Mutter ebenfalls.«
»Damals ist ein Toter über das Wasser gegangen. Und diese alberne kleine Zeremonie hat sich prompt in Chaos aufgelöst. Die Fassade des sogenannten zivilisierten Verhaltens ist äußerst dünn und zerbrechlich, nicht wahr? Hier sitzen wir und tauschen Höflichkeiten aus. Ich frage mich, wie schnell sich das ändern könnte.«
»Ich bin nicht wie die anderen, Yuli. Ich bin nicht Teil ihrer militärischen Operation, sondern eine Wissenschaftlerin wie deine Mutter.«
Das Mädchen gähnte und enthüllte winzige, ebenmäßige Zähne in gesundem rosafarbenem Zahnfleisch. »Meine Mutter ist keine Wissenschaftlerin. Sie ist eine Genzauberin. Wenn Sie den Unterschied nicht kennen, kann ich Ihnen auch nicht helfen.«
»Wissenschaft ist eines der Werkzeuge, die sie benutzt. Ebenso wie die Vorstellungskraft, ihre einzigartige Fähigkeit, die Welt aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel zu betrachten. Aber die Wissenschaft ist ein wesentlicher Bestandteil ihrer Arbeit. Ich bewundere die Werke deiner Mutter, Yuli. Ich will sie verstehen und die Frau, die dahintersteckt.«
»Ich bin nicht wie meine Mutter«, sagte Yuli. »Ich bin nicht einmal eine Wissenschaftlerin, geschweige denn eine Genzauberin. Ich kann Ihnen also nicht helfen. Es tut mir leid, aber so ist nun mal. Sie glauben, dass ich lüge. Sie halten mich für den Schlüssel, um das zu erreichen, was Sie sich am meisten wünschen. Aber das bin ich nicht. Und nichts, was Sie mir erzählen, wird daran etwas ändern. Sie können sich also die ganze Mühe sparen und mich gleich dem Militär zurückgeben.«
»Du und deine Mutter, ihr habt zumindest eines gemeinsam«, sagte Sri. »Ich glaube, dass du die Welt auch aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel betrachtest.«
Mit überraschender Schnelligkeit rollte sich Yuli auf den Rücken, reckte die Beine in die Luft und hakte ihre langen Greifzehen ineinander. Nach einer Weile sah sie zu Sri hinüber und sagte: »Sie hält sich versteckt, nicht wahr?«
»Ja.«
»Wo?«
»Ich habe sie auf dem Titan gestellt. Aber sie ist entkommen. «
»Das war während des Krieges?«
»Ja.«
»Nachdem wir aus diesem langweiligen Gefängnis mit den ganzen albernen Leuten geflohen sind?«
»Nachdem sie Dione verlassen hatte, ja.«
»Wer war bei ihr?«
»Als ich sie getroffen habe, war sie allein. Aber ich glaube, dass ihr zwei Leute geholfen haben, den Titan zu erreichen. Macy Minnot und Newton Jones.«
Yulis Zehen verhakten sich und lösten sich wieder. »Und wo waren diese beiden Helden, als Sie meiner Mutter gegenübergetreten sind?«
»Als ich dort angekommen bin, sind sie offenbar gerade vom Titan abgeflogen.«
Sri zögerte. Sie hatte noch nie jemand die volle Wahrheit erzählt, nicht einmal Arvam Peixoto. Aber sie hatte das Gefühl, dass sie jetzt ganz offen sein musste. Sie war sich sicher, dass Yuli bemerken würde, wenn sie versuchte, etwas zu verschweigen. Außerdem war Offenheit der Grundstein für Vertrauen. Also erzählte sie dem Mädchen kurz, wie ihr Versuch, Avernus in einem ihrer Gärten zu stellen, in ihrer vollkommenen Demütigung geendet hatte. Wie ihr Sekretär
sie hintergangen hatte, und sie ihn hatte töten müssen. Wie sie von einer von Avernus’ Schöpfungen in die Falle gelockt worden war.
Sie sagte: »Nachdem deine Mutter mich ausgetrickst hatte, habe ich eine Hitzeschildkapsel in der Nähe landen sehen. Ich glaube, dass sich Macy Minnot und Newton Jones an Bord befanden – sie sind zurückgekommen, um deine Mutter zu retten. Aber sie hatte keine Rettung nötig. Kurz darauf ist ein kleines Flugzeug in den Himmel aufgestiegen, und die Hitzeschildkapsel ist davongeflogen.«
»Meine Mutter befand sich in dem Flugzeug.«
»Ich glaube, ja. Ich will sie finden, weil ich ihr helfen will. Weil ich denke, dass wir zusammen großartige Dinge erschaffen könnten.«
»Haben Sie Kinder?«, fragte Yuli.
»Ja. Zwei Söhne.«
»Haben Sie ihr Genom verändert?«
»Meinem ältesten
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