Sonnenfeuer
anderen »weißen« Sachen am Leib kam das nicht in Frage. »Nein«, rief sie, als die Frau auf sie zukam. Sie streckte die Arme aus und schrie: »Kagari!«
Plötzlich nahm ein Kookaburra, ein Rieseneisvogel, ihren Ruf auf, ließ seinen Warnschrei ertönen, und andere fielen schreiend und schnatternd ein. Im Nu zerriß ein ohrenbetäubender Lärm von schrillen Pfiffen die Stille und warnte den Feind, daß jetzt die ganze Sippschaft auf der Hut war.
Die Frau blieb erst stehen und sprang dann mit einem Satz auf die Bäume zu. Im gleichen Augenblick schoß ein einzelner Rieseneisvogel aus dem Busch hervor und kreiste niedrig über den beiden Frauen.
Diamond wußte ebensogut wie diese Frau, daß das laute Gekreische der Vögel einen Angriff ankündigen konnte. In dieser Gegend mußte man damit rechnen, daß sich bis zu zwanzig ausgewachsene Kookaburras zusammengerottet hatten. Diamond hatte schon erlebt, wie sie im Sturzflug auf Leguane losgingen, um ihre Nester zu verteidigen, ja sogar ihr Leben aufs Spiel setzten, um die Echsen vom Baum zu schütteln. Daß die Kookaburras ihr Totem waren, hatte Diamond niemals vergessen. Diese Vögel waren überall, und sie gehörten zu den treuesten Tieren überhaupt. Nicht einmal vor dem großen Keilschwanzadler schreckten sie zurück, und auch den Menschen fürchteten sie nicht.
Unvermittelt setzte sich die Frau im Schneidersitz in den Sand, und höflich nahm Diamond neben ihr Platz. Von einem Augenblick auf den anderen waren die Vögel verstummt.
»Du welcher Stamm?« fragte die Frau.
»Irukandji«, sagte Diamond. Doch auch nachdem sie den Namen langsam und deutlich wiederholt hatte, schüttelte die Frau den Kopf.
»Bist du Barrungulla?« fragte Diamond.
Die Frau blickte zu den Bäumen auf. Offenbar befürchtete sie, die Vögel könnten wieder aufgeschreckt werden, und Diamond entdeckte eine teilweise verheilte Narbe an ihrem Hals über der hübschen Kette. »Warum du wollen sprechen mit mir?«
»Ich brauche deine Hilfe. Ich suche meine Familie.«
»Familie«, wiederholte die Frau, und ihre Züge wurden weicher. Diamond wußte, daß das Wort Familie für einen Eingeborenen, ganz gleich welchen Stammes und welcher Sprache, immer Liebe und Fürsorge bedeutete. Sie fing an, ihre Lage zu erklären, doch Barrungulla wurde unruhig. Sie nahm Diamonds Hände und drehte sie um. »Du wirklich schwarz. Aber schwarz jetzt alles fort von dir. Du besser aufhören wandern, du verloren.«
»Nein«, widersprach Diamond. »Ich darf nicht. Deine Leute, die Brindal, sind gute Leute.«
Barrungulla schnitt eine Grimasse. »Gute Leute bald nix mehr. Jetzt sterben jeden Tag.«
Diamond deutete mit dem Finger in den Sand. »Wir sind hier. Hier lebt dein Stamm. Welcher Stamm ist dahinter?«
»Boorgaman-Stamm leben dort.«
»Und hier?«
Sie zuckte die Achseln. »Cogoon. Vielleicht Cullinaringo. Hier«, sie deutete weiter in den Westen, »kommen Ilba.«
»Und dann?«
Barrungulla fuhr mit der Hand über ein Küstengebiet weiter nördlich. »Land von böse Stamm dort.«
»Welcher?«
»Nicht gut du gehen da. Schneiden ab Kopf.«
»Wie heißen sie?«
»Newegi«, flüsterte die Frau, und Diamond seufzte. Sie hätte nie gedacht, daß es so viele Stämme gab, die alle ihr eigenes Gebiet bewohnten. Für die Weißen dagegen galt dieses Land als unbesiedelt. Dabei hatte Diamond sich nur nach einem kleinen Gebiet erkundigt.
»Danke«, sagte sie und fragte dann freundlich: »Was ist mit deinem Hals geschehen, Barrungulla?«
Die Frau sah sie herausfordernd an. »Du wissen, was Hängen sein?«
»Ja.« Diamond erbebte.
»Weißer Mann diese Frau hängen.«
»O mein Gott. Wie hast du überlebt?«
»Totem zu stark«, erwiderte sie lachend. »Baum zornig, macht krach!« Mit ihren großen Händen machte sie vor, wie ein Ast vom Baum knickte. »Fallen herunter, nicht tot.«
Als Barrungulla von den Mordzügen und Racheakten im Gebiet der Bindal hinter der kleinen Bucht erzählte, wurde Diamond klar, daß hier ein heimlicher Krieg zwischen Schwarzen und Weißen herrschte, daß nicht alle Menschen ihrer Rasse »zahm« geworden waren, daß die Mehrzahl der Aborigines nicht aufgegeben hatten und bereit waren, im Kampf für ihre Heimat zu sterben.
»Du jetzt gehen«, sagte Barrungulla. »Gehen heim.«
»Wo bin ich daheim?« Das, was Diamond erfahren hatte, betrübte sie, sie fühlte sich einsam und sehnte sich nach ihrer Familie.
Doch Barrungulla schüttelte ungeduldig den Kopf. Sie hatte ihre eigenen
Weitere Kostenlose Bücher