Sonnenfeuer
waren!«
»Eins sage ich dir, Lew Cavour«, stieß Perfy wütend hervor. »Deine Eltern mögen vielleicht gute Missionare gewesen sein, während meine Eltern als Sträflinge in die Verbannung geschickt worden sind, aber wenigstens schäme ich mich nicht für sie!«
Lew konnte es nicht fassen, daß jemand ihm vorzuwerfen wagte, er schäme sich seiner Eltern. Wortlos ließ er sie im Garten stehen und eilte durch die Stadt zur Dschunke zurück. Er konnte auf ihren Vorwurf nichts erwidern, denn er wußte, daß sie recht hatte. Bisher hatte er der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen wollen. Immer hatte er sich geschämt, weil seine Eltern arm waren und in blindem Gehorsam alles taten, was der Bischof verlangte; am meisten aber deshalb, weil sie sich vor ihren chinesischen Zeitgenossen lächerlich gemacht hatten. Das ganze Dorf hatte über sie gespottet, während sie versuchten, einer mißtrauischen Bevölkerung einen fremden Gott nahezubringen. Zwar verehrten die Chinesen ihre Ahnen und brachten ihren Göttern täglich Opfer dar, aber ihnen war das Hier und Jetzt wichtiger als das Jenseits. Lew goß sich ein Glas Rum ein. Die Matrosen vergnügten sich auf dem Achterdeck mit ihren endlosen Glücksspielen. Von einem finnischen Lugger in der Nähe drang der fröhliche Lärm einer Feier herüber. Lew überlegte, ob er hinüberrudern sollte, aber eigentlich war er dazu nicht in der Stimmung. Die Finnen waren nicht nur gute Matrosen, sondern auch herzliche, leutselige und trinkfeste Leute, doch an diesem Abend konnte er nicht mit ihnen mithalten. Eine unendliche Traurigkeit überkam ihn, als er an seine Mutter dachte, die ihren Sohn nie erwachsen gesehen hatte, und an seinen Vater, der seine Mission nie aufgegeben hatte.
Nach Lews ersten Eindrücken von dieser Kolonie wären Elizabeth und Joseph Cavour besser beraten gewesen, wenn sie ihren weniger glücklichen Landsleuten hierher gefolgt wären. Die Sträflingsdeportation war vor dreißig Jahren eingestellt worden, aber überall war noch Bitterkeit zu spüren. Die Missionare hätten sich ebensogut um das Seelenheil der Gefangenen kümmern können. Doch wahrscheinlich hatte sich das heidnische, fremdartige China viel verlockender und abenteuerlicher angehört als eine Kolonie voller armseliger, ausgestoßener Engländer.
Auf der Suche nach sich selbst hatte Lew sich lieber an die in den Kolonien ansässigen Goldgräber gehalten, die sich inzwischen Australier nannten, als an die amerikanischen und europäischen. Seinem Gefühl nach hatte er mit den Australiern mehr gemeinsam, da sie ebenfalls britischer Abstammung waren. Allerdings waren sie recht streitsüchtig, erwarteten von ihren Mitmenschen nichts Gutes und hegten eine tiefsitzende Abneigung gegen Polizisten und alle anderen Gesetzeshüter; wahrscheinlich ein Überbleibsel aus ihrer Zeit als Sträflinge. Andererseits kämpften sie genau wie die Polizisten gegen Buschräuber, vor denen sie gleichzeitig eine gewisse Achtung hatten. Das alles war für Lew ebenso unerklärlich wie Perfys Entschlossenheit, diesen riesigen Landstrich im Westen in Besitz zu nehmen und zu bewirtschaften, worin ihr Vater sie auch noch bestärkte. Die beiden hatten keine Ahnung, auf was sie sich da einließen, aber offensichtlich hatten sie sich nun einmal in den Kopf gesetzt, zu den Viehbaronen zu gehören; das stand für Lew außer Zweifel.
Perfy hatte ihm ganz unverhohlen den Spiegel vorgehalten, und die Wahrheiten, die sie ihm an den Kopf geworfen hatte, hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Jetzt bereute er, daß er mit seinen Eltern so hart ins Gericht gegangen war, aber vielleicht hätte sein Vater das verstanden. Er hatte seinem Sohn nie einen Vorwurf daraus gemacht, daß er ohne ein Wort fortgegangen war, und ihn in einem Brief sogar ermutigt, seine Seemannslaufbahn fortzusetzen. Lew schenkte sich noch einen Rum ein und griff nach einem von Yings Büchern. Er vermißte Ying, diesen geistreichen chinesischen Edelmann, und er fragte sich, wie es ihm wohl im unwirtlichen Westen ergehen mochte. Er mußte lachen, wenn er sich Ying in dieser Wildnis vorstellte, und als er die Seiten des Buches überflog, entdeckte er die Schriftzeichen für »Frau«: ein Besen und ein Sturm.
»Ja, das ist mein Mädchen«, murmelte er grinsend, »das ist Perfy.«
Er blätterte weiter in dem Gedichtband und stieß auf ein paar Zeilen von Fu Hsuan: »Wie traurig ist es, eine Frau zu sein!/Nichts auf Erden wird so gering geachtet.«
Lew betrachtete sich in Yings
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