Sonnenfeuer
dahinter ein Fluß verlief.
»Nein, das ist nur ein Seitenarm«, erwiderte Ben. »Man nennt ihn den Sonderbaren Fluß.«
»Warum?«
»Schauen Sie sich das Laub der Bäume an. Dort unten befindet sich eine Schlucht. Sie fängt die warme Luft auf und hält die Feuchtigkeit, so daß hier andere Bäume wachsen als in der Umgebung. Die Vegetation ist tropisch …«
George unterbrach ihn. »Sollen wir eins der Packpferde mitnehmen, Boß?«
»Nein, das schaffen wir schon. Sie würden euch nur aufhalten. Aber vergeßt die Post nicht.«
Diamond gefiel der Platz nicht. Unruhig sah sie den Viehtreibern nach, die mit einem lauten Juchzer davonsprengten. Zum Abschied schwenkten sie noch einmal den Hut, dann gaben sie den Pferden die Sporen und galoppierten in einer Staubwolke davon. Diamond war erleichtert, daß Ben Buchanan ihr Lager außerhalb dieses kleinen Dschungels aufgeschlagen hatte, denn es roch dort irgendwie modrig. Die alten, naßglänzenden Bäume waren von Schlingpflanzen überwuchert, die Stämme mit Moos bedeckt, und das Unterholz wirkte verfault.
Ben zündete ein Lagerfeuer an und hängte den Teekessel darüber auf. Diamond hatte das Gefühl, sie sollte ihre Hilfe anbieten, andererseits wollte sie sich auch nicht aufdrängen. Ihm gegenüber fühlte sie sich unsicher; er war ein gutaussehender Mann mit starken Schultern und feinen, von der Sonne gebräunten Gesichtszügen, aber bisher hatte er kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Gelegentlich hatte er sie mit einem Blick gestreift, als wäre sie irgendein seltenes Tier. Ihr war auch nicht entgangen, daß sich die Viehtreiber zuzwinkerten, wenn sie an ihnen vorbeiritt, aber da ihr Arbeitgeber und Mr. Middleton dabei waren, brauchte sie wohl nichts zu fürchten. Oder etwa doch? Sie war ängstlich und konnte sich ihr flaues Gefühl im Magen nicht erklären.
Perfy ruhte sich im Schatten aus. Da es von Fliegen wimmelte, mußte sie den Schleier übers Gesicht ziehen.
Ben füllte den Teekessel mit Wasser aus einem Wasserbeutel, hängte ihn übers Feuer und packte den Tee aus. Während er darauf wartete, daß das Wasser kochte, hockte er sich auf den Boden und steckte sich die Pfeife an. Dabei verlagerte er das Gewicht auf das angezogene Bein, und hielt das andere ausgestreckt. Diamond mußte lächeln. Er erinnerte sie an die Vögel, die die Lagunen bewohnten, die Störche und Brolgas, die auf einem Bein standen, und an die Legende, die die Bindal ihr erzählt hatten: Eines Tages, vor langer Zeit, hatte ein Storch im Kampf mit einem Flußungeheuer eines seiner Beine eingebüßt. Die anderen Tiere hatten so großes Mitleid mit dem Storch, daß sie ihm Futter brachten. Doch manche Störche erkannten, daß man auf diese Weise gut leben konnte, ohne auf die Jagd zu gehen, und so standen sie immer auf nur einem Bein im Wasser und versteckten das andere Bein. Bald …
»Wo ist Ihr Vater?« wandte sich Ben an Perfy.
»Er macht einen kleinen Spaziergang«, sagte sie und befestigte den Schleier unter ihrem Kinn. Währenddessen schlug sie unentwegt nach den lästigen Fliegen.
Ben antwortete nicht. Aber Diamond sah, wie er die Muskeln anspannte und sich unruhig umblickte. Wahrscheinlich fürchtete er, Jack Middleton könne von einer Schlange gebissen werden. Auch sie machte sich jetzt Sorgen, denn das dichte Unterholz war sicher von Unmengen von Schlangen bevölkert.
»Und – er wollte ein bißchen schwimmen, falls er einen schönen Platz am Fluß findet«, fügte Perfy hinzu.
»Was?« schrie Ben. »Er ist schwimmen gegangen?« Im selben Moment war er auch schon aufgesprungen und hatte sein Gewehr ergriffen. Er lud es im Laufen und war im Busch verschwunden.
Diamond wußte nicht, warum, aber sie rannte hinterher, rutschte auf den nassen Farnen aus und schlitterte die Wasserrinne hinab Richtung Fluß.
Und dann vernahm sie den Schrei. Es war der schlimmste, herzzerreißendste Schrei, den sie je gehört hatte.
Ben machte sofort kehrt und stürzte nach rechts. »Da lang«, rief er Diamond zu. Die furchtbaren Schreie wurden lauter. Jack Middleton stand im Fluß und schlug wild um sich. Das Wasser war blutrot. Diamond erreichte als erste das Ufer und streckte ihre Hand nach Jack aus. Sie stand schon bis zur Hüfte im Wasser, als Ben sie einholte und beiseitestieß. Dann feuerte er.
In diesem Augenblick sah Diamond das riesenhafte Reptil. Wild schlug es mit dem Schwanz, bäumte sich auf und riß dabei Jacks Körper mit seinem gewaltigen Maul in die Höhe. Ben warf das
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