Sonnenfeuer
Diese Frau war sehr stark. Zwar sah sie fett und träge aus, aber sie hatte die Kraft eines Mannes. Kagari gefiel das. Sie bewunderte die Missus, die alle möglichen klugen Dinge tat und Essen kochte, das man selbst den Göttern der Geisterwelt hätte vorsetzen können.
Und man nannte sie Diamond. Das war seltsam, aber sie gewöhnte sich daran, wie sie sich auch an alles andere gewöhnte. Eines Tages hatte die Missus einige kichernde schwarze Mädchen als Besuch mitgebracht, aber sie gehörten zu einem anderen Stamm, und so konnte Diamond ihre Sprache nicht verstehen. Es war viel leichter, neue Wörter von der Missus zu lernen, die sie ihr spielerisch beibrachte. Später hatte sie dieselben schwarzen Mädchen am Tor stehen sehen, und sie hatten ihr bedeutet, daß sie hier sicher sei und sich nicht grämen solle. Diamond war zu dem Schluß gekommen, man habe sie als Braut für einen weißen Mann geraubt. Wenn es zu Hause nicht genug junge Frauen gab, unter denen man wählen konnte, gingen die Irukandji-Männer lieber auf Jagd nach jungen Mädchen von anderen Stämmen, als daß sie ältere Frauen heirateten. Oft hatte sie miterlebt, wie sie stolz heimkamen und ihre hübschen, schüchternen Trophäen herumzeigten. Die neuen Mädchen wurden in die Familien aufgenommen und fügten sich in ihr Schicksal. Daß einmal eine von ihnen floh, war selten. Und gefährlich. So verstrich die Zeit. Diamond lernte die neue Sprache recht gut, aber von einem weißen Bräutigam keine Spur. Augusta Beckmann hatte nicht die Absicht, irgendeinen Mann, sei er nun schwarz oder weiß, in Diamonds Nähe zu lassen. Sie hatte ein Gewehr und fuchtelte damit herum, wenn Fremde am Haus entlangschlichen oder sich im Hinterhof herumtrieben. »Nimm dich vor diesen Männern in acht«, warnte sie Diamond. »Sie machen dir Kinder und schlagen dich. Das sind böse Menschen!«
Ihr Ehemann aber war gut. Der Käpt’n war oft lange auf seinem großen Schiff unterwegs, und wenn er wieder zurückkam, baute und schnitzte er Möbel und polierte das Holz, daß es Farben annahm, die Diamond begeisterten. Nur einmal hatte es Aufregung gegeben. Der Käpt’n und ein anderer Mann befreiten gerade den Garten von Dornenbüschen und hohem Gras, als sie eine hübsche Schlange entdeckten. Der Käpt’n ergriff ein Beil, um sie zu töten, aber Diamond hatte sich auf ihn gestürzt und ihn beiseitegestoßen, um diese schreckliche Tat zu verhindern. Sie brauchten das Fleisch nicht, und die hübsche Schlange war harmlos. Sie war lang und schlank, hatte glänzend schwarze Schuppen und leuchtende, kluge Augen. Die Männer liefen schreiend davon, während sich Diamond die verschreckte Schlange zärtlich um Hals und Arme legte und sie beruhigte. Niemand hielt sie auf, als sie wegging, um im Busch ein neues Heim für die Schlange zu finden. Mit diesem Zwischenfall begann für Diamond ein ganz neuer Lebensabschnitt. Sie merkte, daß niemand etwas gegen kleine Spaziergänge hatte, solange die Missus wußte, wo sie hinging. Bald lernte sie, die großen Hütten voneinander zu unterscheiden, und verlief sich nicht mehr. Morgens brachte ihr die Missus richtiges Englisch bei, nicht das Pidgin, das die Schwarzen sonst sprachen. Sie zeigte ihr die Buchstaben und lehrte sie das Schreiben. Außerdem kaufte sie Bilderbücher, die Diamond stundenlang ansehen konnte. Sie war sicher, der alten Frau machten die Stunden mehr Spaß als ihr selbst; die Missus brannte so darauf, mit dem Unterricht zu beginnen, daß sogar die Wäsche warten konnte. Wenn dann der Käpt’n von seinem Schiff heimkam, mußte Diamond ihm zeigen, was sie gelernt hatte, und hübsche Verse aufsagen. Ihr Lieblingsvers war »Bäuerchen, Bäuerchen Tick, Tick, Tack«. Sie fand es sehr lustig, aber der Käpt’n lachte nicht, sondern klatschte begeistert in die Hände. Das freute die Missus.
»Schau«, sagte sie zu ihm. »Es heißt, die Schwarzen sind zu dumm zum Lernen, aber meine Diamond kann das. Diamond ist klug.«
Der Käpt’n war glücklich. »Ach, sie hat einfach eine ausgezeichnete Lehrmeisterin, Gussie. Du hättest Lehrerin werden sollen.«
Die Missus war stolz auf dieses Lob.
Sie hatten es schön zusammen in ihrer kleinen Familie. Diamond half im Haushalt und im Garten und hatte ihren eigenen Schlafplatz auf der Veranda.
Den anderen Schwarzen in Brisbane ging es sehr viel schlechter als ihr; viele waren krank oder halb verhungert. Zu ihrer Enttäuschung hatte noch niemand von den Irukandji und dem Land im Norden
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