Sonnenfeuer
ausgeteilt hatte und gerade wieder ihren Platz am Kopf des Tisches einnahm, klingelte es an der Haustür. Hester ging nachsehen.
»Ach, Perfy!« sagte sie. »Was machst du denn hier? Wir haben dich ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen!«
»Ich weiß«, lautete die Antwort. »Irgendwie kommt mir an meinem freien Nachmittag immer was dazwischen. Ist Amy da?«
»Ja.« Angesichts des Tons, in dem Mrs. Campbell dies sagte, fragte sich Darcy, warum die Besucherin nicht willkommen war.
»Kann ich sie sehen?«
Schweigen. Gespannt warteten die um den Eßtisch Versammelten auf eine Antwort. Schließlich sprang Ross in die Bresche. »Sie ist hier, Perfy«, rief er.
Das Mädchen trat ins Eßzimmer und blieb peinlich berührt stehen. »Oh, tut mir leid! Ich wußte nicht, daß Sie Besuch haben.« Darcy erhob sich höflich, doch Jock blieb ungerührt am Tisch sitzen. Währenddessen schob Hester sich vorsichtig an der Hinzugekommenen vorbei, als hätte sie Angst, sie zu berühren. Dennoch war offensichtlich, daß das Mädchen daran gewöhnt war, hier unangemeldet vorbeizukommen.
»Wie geht’s dir, Perfy?« erkundigte sich Ross, der die allgemeine Verlegenheit überhaupt nicht zu bemerken schien, fröhlich.
»Danke, Ross, gut. Aber ich gehe gleich wieder. Ich kann ja später noch mal vorbeikommen.«
Mit einem durchtriebenen Grinsen wandte Ross sich seiner Schwester zu. »Willst du deiner Freundin keinen Platz anbieten?«
Amy wurde rot. »Aber natürlich. Komm, setz dich hierhin, Perfy.«
»Ich werde hier neben Mr. Buchanan noch ein Gedeck auflegen«, sagte Hester mit zusammengekniffenen Lippen.
Ross zog ihr einen Stuhl heran, und Jock übernahm die Vorstellung. »Das ist Mr. Buchanan, ein Geschäftsfreund. Miss Perfy Middleton.«
»Anscheinend störe ich«, entschuldigte sich Perfy. »Ich sollte wohl besser gehen …«
»Setz dich«, fuhr Hester dazwischen, »unsere Suppe wird kalt.« Darcy hatte seinen Blick nicht von Perfy gewandt, seit sie ins Zimmer gekommen war. Das verlegene Zaudern der Campbells gab ihm die unverhoffte Möglichkeit, sie die ganze Zeit über anzusehen, all ihre Bewegungen zu verfolgen, ihr leuchtendes Gesicht zu betrachten, das lange, blonde Haar, das ihr, nur von einem blauen Band gehalten, ungebändigt in den Nacken fiel, und ihre Augen … Augen, so blau wie Saphire!
Kurze Zeit später saß sie neben ihm – und er hatte ihren Namen vergessen. Wie konnte ihm das nur passieren? Betrübt saß er da und verfolgte ihr Gespräch mit Amy. Die beiden waren Freundinnen aus der Schulzeit. Hester erkundigte sich mittlerweile nach der Farm, und Jock erwog das Für und Wider des Goldrauschs. Als sie bei Tee und Kuchen angelangt waren, stieß Darcy die Zuckerdose um. Sofort sprang Hester auf und kam mit einer kleinen Schaufel und einem Tischbesen herbeigeeilt. Sie machte solch ein Aufhebens um das Mißgeschick, daß Darcy sich nicht verkneifen konnte zu murmeln: »Zum Glück macht Zucker keine Flecken.« Und neben sich hörte er ein Kichern.
Jock, der einen Großteil der Unterhaltung bestritt, sang ein Loblied auf Schottland, und Darcy hörte ihm interessiert zu. Seine Mutter war zwar dort geboren, doch sie verriet nie, aus welchem Ort sie stammte, so wie sie überhaupt selten über dieses Land sprach. Sie hatte lediglich erklärt, es sei dort so kalt, daß man sich zu Tode frieren würde. Außerdem seien die Schotten verlogene Puritaner. Schmunzelnd mußte Darcy dabei über seine eigene Beobachtung nachdenken, daß sich nämlich ihre Landsleute offensichtlich von Grund auf veränderten, sobald sie ihre Heimat verließen. Denn die meisten Schotten, die er kannte, sprachen dem Whisky nur zu gern zu. Dem jungen Ross Campbell hingegen waren die Geschichten über das schottische Hochland und die Heide nur allzugut bekannt. Eine Zeitlang rutschte er unruhig auf seinem Stuhl herum und unterbrach seinen Vater schließlich mit der Frage: »Wie geht’s dem Gouverneur, Perfy?« Erleichtert atmete Darcy auf. Perfy war ihr Name.
»Soweit ich weiß, ist er bei bester Gesundheit«, antwortete sie. »Perfy arbeitet im Haus des Gouverneurs«, erklärte Hester. Die Betonung lag dabei auf »arbeitet«, denn der Gast sollte gleich wissen, mit wem er es zu tun hatte.
»Dann müssen Sie meinen Bruder Ben kennengelernt haben, der zur Zeit dort wohnt.«
Endlich hatte er eine Gelegenheit, sie anzusprechen.
Erstaunt sah sie ihn an, doch dann erinnerte sie sich. »Mr. Buchanan, natürlich! Er ist zusammen mit
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