Sonnenfeuer
einfach nicht begreiflich zu machen, worauf es bei einer Stellung ankam. Sie wurden in Naturalien bezahlt – Mehl, Tee und Zucker, die sie auch pflichtbewußt unter ihren Leuten verteilten. Und zumeist ließen sie sich erst dann wieder am Arbeitsplatz blicken, wenn alles aufgebraucht war.
Doch Diamond wollte sie nicht so ohne weiteres aufgeben. Die Eingeborenen mußten sich früher oder später an die verwirrenden Gesetze der Weißen gewöhnen, um überhaupt überleben zu können. Sie selbst bot allerdings nicht gerade das beste Beispiel. Zwar war sie ordentlich gekleidet und konnte flüssig englisch sprechen, doch noch immer erhielt sie keinen Lohn. Sie arbeitete lediglich für Unterkunft und Verpflegung und, wie sie sehr wohl wußte, für die Sicherheit, die ihr Arbeitsplatz ihr bot. Niemand würde es wagen, auf dem Grundstück des Gouverneurs herumzulungern. Andererseits besaß sie weder Geld noch ein eigenes Heim, und da es keinen Ort gab, an den sie sich zurückziehen konnte, war sie eigentlich nichts anderes als eine Gefangene, wenn auch ohne Ketten.
In der letzten Zeit hatte sie viel über ihr Volk nachgedacht. Zumindest lebten die Schwarzen in Brisbane im Kreise ihrer Familien und hatten trotz ihres Elends das Lachen nicht verlernt. Vor allem aber sorgten sie füreinander. Sie hingegen war ganz allein. Keiner der hiesigen Eingeborenen hatte je von ihrem Stamm, den Irukandji, gehört. Daß sie von ihnen wegen ihrer Einsamkeit bemitleidet wurde, war für sie eine erschreckende Erkenntnis.
Sie mußte jetzt ungefähr achtzehn Jahre alt sein. Angesichts der düsteren Aussicht, den Rest ihres Lebens hier angebunden zu sein, sehnte sie sich nach ihrer eigenen Familie. Ob man sie wohl vergessen hatte? Nach und nach ergriff die Vorstellung von ihr Besitz, wie sie heimkehrte und von Vater, Mutter, ihrem Bruder Meebal und all den anderen in die Arme geschlossen wurde, wie sie ein großes Fest feierten und wie sie ihnen von ihren Erlebnissen erzählte. Eines Tages würde sie in den Norden gehen und ihre Leute suchen. Kapitän Beckmann hatte ihr nie gesagt, wo er sie gefunden hatte, und die Missus hatte vorgegeben, es nicht zu wissen. Diamond hatte nie gewagt, danach zu fragen. Wie selbstverständlich hatte sie sich mit all den neuen Dingen beschäftigt, die die Missus ihr zeigte. Kagari, ihren richtigen Namen, hatte sie allerdings nie vergessen. Als Diamond in der Küche die Gerüchte über Miss Perfy hörte, war sie bestürzt. Es hieß, Perfy habe aus Trauer über den Tod ihres Bräutigams nahezu den Verstand verloren. Das geschah nicht selten, sagte man, und die meisten erholten sich davon nie mehr. Dann wanderten sie entweder als Verrückte durch die Straßen oder mußten gar in eine Irrenanstalt gebracht werden, den schrecklichsten Ort, den Diamond sich überhaupt vorstellen konnte.
Da hatte sie all ihren Mut zusammengenommen, das Haus von Perfys Eltern gesucht und an die Tür geklopft. Auf den ersten Blick sah sie, daß Perfy tatsächlich auf bestem Weg war, in die Schattenwelt überzuwechseln, denn sie erkannte Diamond nicht einmal mehr. Ihr Zimmer war kalt und leer; Liebe und Wärme waren mit einem Schlag fortgerissen worden und hatten Perfy im Nichts zurückgelassen, allein vor einem blinden Spiegel, in dem sie sich nicht mehr erkennen konnte.
Daraufhin hockte sich Diamond im Schneidersitz unter das Fenster, wo sie den süßen Duft des Jasmins und der letzten Blüten des Geißblatts riechen konnte. Davon erzählte sie und von all den Blumen, die noch kommen würden, daß sie Geschenke der Geister zum Trost für traurige Herzen waren. Ihre Stimme verfiel in ein Summen und erinnerte an das leise Dröhnen eines entfernten Didgeridoo. Sie sprach vom Nebel, der tiefgrün wie ein Mantel über dem Wald hängt, von seinem Zauber, den nur Auserwählte sehen, die für immer gesegnet sind, sobald sie in ihn hineintreten.
Abend für Abend fand sie sich bei Perfy ein. Sie erwähnte zwar niemals Darcys Namen, doch sie sprach von seinem unerschütterlichen Platz in der Natur und von der Aufgabe, die er im Plan von Mutter Erde erfüllte. »Vielleicht ist er jetzt ein grauer Adler oder ein hoher Baum oder vielleicht sogar der Geist eines Blitzes.«
»Nein, das ist er nicht«, entgegnete Perfy leise, und Diamond fiel ein Stein vom Herzen. »Ich glaube, er ist ein Fels. Nein, er ist eine Landzunge, die eine zauberhafte Bucht beschützt. Bestimmt ist er das. Ach, Diamond, ich habe solche Angst! Immer, wenn ich an ihn denke,
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