Sonnenfeuer
sehe ich ihn im Grabe liegen mit all den Würmern, die an ihm fressen. Das ist schrecklich.«
»Ruhig jetzt, ruhig«, flüsterte Diamond.
»Man sagt, ihre Haare wachsen weiter«, schluchzte Perfy.
Diamond nahm sie in den Arm, damit sie sich wieder beruhigte. »Dort ist er nicht mehr. Er ist wiedergeboren. Die Geister haben ihn mitgenommen, und jetzt steht er stolz an dem Platz, den sie für ihn ausgesucht haben, der Landzunge beispielsweise – die Geister wissen schon, was gut für ihn ist.«
»Erzähl mir nochmal«, bat Perfy, »wie die Schwestern von Oonji für eine Quelle gesorgt haben.«
»Nach einer Trockenzeit, die kein Ende nehmen wollte, taten sie sich zusammen und sammelten in einer Quelle Tau. Die Geister sahen es mit Wohlgefallen, und mit der Zeit floß die Quelle über und wurde ein Wasserfall. Und aus dem Wasserfall wurde ein Fluß und später ein großer Strom. Und ihr Volk mußte nie wieder Durst leiden. Die Schwestern sind immer noch dort. Sie sind drei glatte, schimmernde Felsen geworden. Und jedes Jahr bringt ihnen das Volk zum Dank Blumen.«
Diamond erzählte ihr viele aufregende Geschichten aus der Vergangenheit, der Traumzeit. Sie handelten von Helden, die zu Geistern wurden und Mutter Erde dienten und gegen Blitz und Donner und andere Feinde aus dem Jenseits kämpften. Zum Dank machte Mutter Erde sie zu Wesen, die ihr geliebtes Volk nie wieder verlassen mußten. »Da ist zum Beispiel Burrumgillie«, sagte Diamond, »das weite Tal mit den grünen Flüssen. Er war ein großer Krieger.« Als Diamond so die Namen von Felsen, Flüssen, Berggipfeln, Felsengebilden, alten Bäumen und Schlingpflanzen aufzählte, beschrieb sie, ohne es zu wissen, Orte im Land der Irukandji, der Gegend oberhalb der Mündung des Endeavour, dem Oberlauf jenes Flusses, der später Palmer genannt wurde.
Diamond zeigte ihr Vögel und beschrieb, was sie taten: Wie die Schwalbe ihre Flügel ins Wasser taucht, um mit den Tröpfchen den Lehm zu befeuchten, den sie für den Nestbau braucht. Mit einem Ruf begrüßte sie heimkehrende Rieseneisvögel, und zu Perfys Entzücken antworteten sie. Perfy lachte und klatschte in die Hände, denn allmählich kam sie wieder zu Kräften.
Eines Abends klopfte einer der Lakaien an Diamonds Tür. »Hab ’ne Nachricht für dich«, brummte er. »Ist ja eigentlich nicht meine Aufgabe, aber sie stammt von Perfy. Sie geht aus Brisbane fort und möchte dich vorher noch mal sehen.«
Diamond hatte ihre Besuche bei Perfy schon vor einigen Monaten eingestellt, denn ihre Hilfe wurde nun nicht mehr gebraucht. Als Mrs. Middleton berichtete, daß Perfy Darcys Tod allmählich überwand, wußte Diamond, daß die Zeit die restlichen Wunden heilen würde. Wie Mrs. Beckmann mußte Perfy nun lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Daß die Middletons die Stadt verlassen wollten, wunderte sie nicht, denn so etwas schien bei den Weißen nichts Ungewöhnliches zu sein. Selbst über den Gouverneur und Lady Bowen wurde erzählt, daß sie demnächst über das Meer in ihre Heimat zurückkehren würden.
»Sie fahren nach Hause«, sagte man. Dabei hatte Diamond immer gedacht, ihr Zuhause sei hier, in Brisbane. Da niemand wußte, wer der neue Gouverneur sein würde, machten sich die Angestellten im Regierungssitz Sorgen. Besonders die Haushälterin hatte Angst vor der Zukunft, denn sie fürchtete, die Frau des Gouverneurs könnte ihre eigene Wirtschafterin mitbringen. Anscheinend besaß jeder noch eine eigene Heimat. Wo aber war ihre, Diamonds Heimat?
»Wir ziehen nach Bowen«, erklärte Perfy Diamond.
»Wo liegt das?«
Perfy durchstöberte das Wirrwarr von Kartons und Kisten und aufgestapelten Möbeln. Schließlich fand sie in einer kleinen Metalltruhe, die die Familiendokumente enthielt, eine Landkarte. »Hier«, sagte sie. »Es ist eine kleine Stadt an der Küste im Norden.«
»Im Norden.« Dieses Wort versetzte Diamond einen Stich. »Im Norden.« Das war Musik in ihren Ohren. Und so nahm sie kaum wahr, wie Perfy ihr erklärte, daß Darcy ihr viel Geld hinterlassen hatte und sich die Middletons in Bowen ein Haus gekauft hatten.
»Wie habt ihr es gefunden?« Diamond gab sich Mühe, auf das Gespräch einzugehen.
»Vater hat sich mit einem Makler, einem gewissen Mr. Watlington, in Verbindung gesetzt und sich Angebote schicken lassen. Dieser Mr. Watlington hat uns geantwortet, es sei schwer, etwas Geeignetes zu finden, denn Bowen ist zur Zeit von Goldsuchern überlaufen. Zum Glück war gerade ein
Weitere Kostenlose Bücher