Sonnenfeuer
Herbert setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, denn er wollte sich nicht schon wieder den Knöchel verstauchen oder hinfallen und den Tropenanzug verderben, der ihn in diesem wilden Goldgräberstädtchen als Gentleman auswies.
Drei bärtige Reiter trabten an ihm vorbei. »Wie geht’s dir so, Herbie?« rief einer ihm zu.
Übertrieben höflich lüftete der Angesprochene seinen breitkrempigen Hut. »Ausgezeichnet, meine Herren, vielen Dank«, und sie grinsten zufrieden.
»Bringt mir eine Probe mit«, rief er ihnen nach. Dies war der übliche Scherz in Bowen, und die drei Männer winkten lachend zurück.
Mit ihren für die Wildnis ausgerüsteten Pferden, all den sorgsam befestigten Seilen, Gewehren und Pistolen, den hinter den Sätteln zusammengerollten Decken und dem Packpferd im Gefolge war unschwer zu erraten, wohin die Reise gehen sollte. Bowen lebte zum einen von den Goldsuchern, die zu den Schürfstellen am Cape River aufbrachen, doch in weitaus stärkerem Maße von denen, die reich von den Goldfeldern zurückkehrten und das Geld mit vollen Händen ausgaben. Herbert mochte Bowen, diese kleine Stadt am Meer mit einer Hauptstraße so breit wie ein Fußballplatz. Er fragte sich, wie es hier wohl ausgesehen hatte, bevor die Goldgräber wie ein Schwarm Heuschrecken eingefallen waren.
Er versuchte sich vorzustellen, was mit seinem Heimatörtchen Lyme Bay geschehen wäre, wenn man urplötzlich fünfzig Kilometer landeinwärts reiche Goldadern entdeckt hätte – daheim waren fünfzig Kilometer etwa soviel wie ein paar hundert in diesem unglaublich weiten Land. Die Leute von Lyme Bay hielten nicht viel von Fremden. Wäre das ein Spaß, dort Horden von Goldgräbern und Glücksrittern herumlaufen zu sehen, die schmutzige Spelunken eröffneten, ganz zu schweigen von den zahllosen Bordellen, wo die Mädchen aus dem Fenster hingen, um Kunden anzulokken! Das erinnerte ihn daran, daß er Glory Molloy besuchen wollte.
»Aha, der gute Jung ist wieder da!« rief sie und zog ihn an ihren ihm wohl vertrauten Busen. »Komm nur herein, mein Liebling.«
Glory zwinkerte ihm verschwörerisch zu, als sie ihn in ihr privates Wohnzimmer führte. Laut sagte sie: »Kommen Sie, ich will Sie mit Barney O’Day bekannt machen. Barney, darf ich Ihnen Mr. Watlington vorstellen?«
Ein Ire mit ausdruckslosen Augen und dem dümmlichen Grinsen eines Mannes, der zum ersten Mal einen Haufen Gold in der Tasche hat, erhob sich schwerfällig vom Sofa und streckte ihm seine dreckverkrustete Pranke entgegen. »Nett, Sie kennenzulernen, Sir.«
Herbert ergriff die dargebotene Hand so kurz, wie es die Höflichkeit zuließ, und zog sich dann in einen Sessel am Fenster zurück. Der Kerl stank.
»Möchten Sie auch einen Kaffee und Cognac?« fragte Glory. »Barney ist gerade erst zu Pferd hier angekommen; der Arme ist furchtbar müde, und die Hotels sind alle ausgebucht.«
Glory trug ihren irischen Akzent dick auf, und so paßte sich Herbert mit seinem besten Upper-Class-Britisch an. »Kaffee und Cognac wären jetzt köstlich, meine Liebe. Aber Mr. O’Day, es wird sich doch wohl irgendwo ein Zimmer für Sie finden lassen?«
»Nicht mal ’ne Matratze ist frei«, stöhnte Barney. »Dabei will ich nach den Monaten auf den Goldfeldern nichts weiter als ein anständiges Bett und ein Bad.«
Glory brachte den Kaffee und goß drei Gläser vom besten Cognac ein. Herbert verstand das Zeichen; sie hatten diese Szene schon viele Male durchgespielt. Er schüttelte sich. »Die Goldfelder! Davon brauchen Sie mir nichts zu erzählen!«
»O ja«, warf Glory ein. »Mr. Watlington hat sich auch mal als Goldgräber versucht, aber leider kein Glück dabei gehabt.«
»War verdammt nahe am Verhungern«, ergänzte Herbert, an Barney gewandt. »Kein Stäubchen Gold gefunden, das Essen nicht vertragen, und bald war ich zu krank, um noch die Spitzhacke zu halten.«
»Ach, das ist kein Ort für feine Herren«, bestätigte Barney. »Harte Arbeit, das ist nicht zu leugnen. Mir sind noch nie so viele Schmarotzer und Halunken auf einem Fleck begegnet, außerhalb der Gefängnismauern, versteht sich.«
»Und Sie sind nur auf der Durchreise?« fragte Herbert.
»Nun, ein paar Tage will ich schon bleiben. Mal ’n bißchen feiern, bevor es wieder zurückgeht. Ich kann nicht klagen; wahrscheinlich bin ich ein reicher Mann, bevor ich die ganze Ader ausgebeutet habe.«
»Da haben Sie mehr Glück als ich«, sagte Herbert. »Ich war völlig abgebrannt, als ich nach Bowen kam,
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