Sonnenfeuer
bestickt und mit kostbaren Steinen besetzt. Er trug ein Gewand aus weißem, wattiertem Satin, das mit einem dunklen schimmernden Pelz besetzt war, sowie eine breite, purpurrote Schärpe. An seinen feinen Händen mit den verlängerten Fingernägeln blitzten goldene Ringe.
»Das ist Chin Ying, Eure Majestät«, verkündete der Schatzmeister, »der erste Sohn des verstorbenen Obersten Kornbeauftragten.«
Träge fächelte sich der Fürst Luft zu, und der Schatzmeister fuhr fort: »Eure Majestät, anläßlich des plötzlichen Todes des Obersten Kornbeauftragten wurde festgestellt, daß seine Eintragungen und Berichte nicht ordnungsgemäß sind.«
Chin Ying zuckte zusammen. Möglicherweise fehlten die letzten Eintragungen, das war verständlich. War es das, was der Schatzmeister meinte? Leider hatte Ying nicht die Erlaubnis zu sprechen, außer wenn man ihn unmittelbar anredete. Aufgeregt rang er die in den Ärmeln verborgenen Hände.
Der Schatzmeister sprach weiter. »Eine sorgfältige Überprüfung der Eintragungen aus den Amtsjahren des Verstorbenen hat erhebliche Unstimmigkeiten an den Tag gebracht. Daraufhin wurden in der letzten Woche Kornbauern und ihre Familien befragt, und wir sind zu dem Schluß gekommen, daß der verstorbene Beamte sich am Eigentum Eurer Majestät bereichert hat, indem er Bestechungsgelder nahm, Korn auf eigene Rechnung verkaufte und mittels gefälschter Berichte Gelder einbehielt, die Eurer Majestät gehören.«
Das war zuviel für Ying. »Das ist nicht wahr, Eure Majestät«, rief er. »Mein Vater war ein ehrbarer Mann.«
Der Schatzmeister seufzte. »Ich wünschte, es wäre nicht wahr. Dein Vater hat meine Nichte geheiratet, und ich habe dieser Ehe meinen Segen gegeben. Jetzt gehört sie zu einer Familie, die Schande über sich gebracht hat.«
Ying war entsetzt, und ihm war peinlich, daß er vor all diesen hochrangigen Persönlichkeiten so erniedrigt wurde. Er spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoß, und am liebsten wäre er davongelaufen. In einem neuerlichen Verstoß gegen das Protokoll fragte er flüsternd den Schatzmeister: »Herr, seid Ihr sicher, daß das stimmt?«
»Deine Familie lebte außergewöhnlich vornehm«, erwiderte er, »und bisher führte man dies auf die Geschicklichkeit deines Vaters zurück. Deine Schwester hat über ihren Stand geheiratet. Ihr Schwiegervater ist verhört worden, und wir haben erfahren, daß er sich mit zwei Mitgiften bestechen ließ, um deine Schwester in seinen Haushalt aufzunehmen. Mit der ersten sollte der Leiter der Verwaltung bezahlt werden. Bei der zweiten, die gesetzwidrig ist, handelte es sich um einen viel größeren Betrag. Der Komplize deines Vaters hat das verbrecherische Geschäft heute morgen gegenüber Eurer Majestät gestanden und wurde unverzüglich hingerichtet.«
Hingerichtet! Der Schwiegervater seiner Schwester! Ying dachte, er würde in Ohnmacht fallen.
»Hast du von dem Diebstahl und dem Betrug gewußt?«
»Nein, Herr, nein«, stammelte Ying. »Ich hatte keine Ahnung. Und ich bin zutiefst zerknirscht.« Er fiel auf die Knie. »Um meiner Familie willen flehe ich um Vergebung.«
Jetzt ergriff der Fürst selbst das Wort; er hatte eine hohe Stimme, in der ein leises Trillern mitschwang. »Vergebung kommt nicht in Frage. Es geht um Wiedergutmachung.«
»Eure Majestät, ich zahle gern alles zurück, was Ihr verlangt«, erwiderte Ying, das Gesicht im Teppich vergraben.
»Ja, du wirst alles zurückzahlen. Wir haben über deinen Fall bereits gesprochen.«
Ying wagte aufzusehen. Das weiße Gesicht sah ihn grimmig an. Das Haar des Fürsten hing in langen geflochtenen Zöpfen herab, die so dünn wie sein Schnurrbart waren. Der Fürst wirkte bedrohlich. Ying war zu Tode erschrocken. Sollte er etwa auch geköpft werden? Er fragte sich, ob er sich ausgestreckt auf den Boden werfen und um Gnade flehen sollte, doch er fürchtete, seinen Fürsten damit nur auf falsche Gedanken zu bringen. Inzwischen schmerzten seine Knie, und sein Rückgrat schien brechen zu wollen.
»In Seiner großen Güte«, verkündete der Schatzmeister, »hat Seine Majestät eine Entscheidung getroffen.«
Ying hörte die Höflinge aufgeregt tuscheln, als der Schatzmeister fortfuhr: »Deine Villa mit allem, was sich darin befindet, ist beschlagnahmt worden. Deine Mutter, deine Frau und eure Diener werden in diesem Augenblick zum Braunen Flügel gebracht.«
Ein entsetztes Raunen ging durch die Zuhörer, und Ying gelang es nur mit Mühe, sich auf den Beinen zu
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