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Sonnenfeuer

Sonnenfeuer

Titel: Sonnenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Shaw
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versucht sein, dir zu folgen. Habgier ist ein Laster, wie dein verstorbener Vater ja hinlänglich bewiesen hat.«
    Yings Mutter und Li-wen warteten auf ihn im verlassenen Langen Pavillon, und er weinte, als er sie in den billigen bunten Jacken und den schwarzen Hosen der niederen Klassen sah. »Meine Lieben«, rief er und umarmte sie beide, »glaubt mir, ich werde euch aus dieser Schande befreien.«
    Doch seine Mutter war mißtrauisch. »Man hat uns unser Zuhause und unseren Besitz weggenommen, aber sieh dich selbst an, du bist immer noch wie ein Edelmann gekleidet.«
    Auch Li-wen war aufgebracht. »Wir haben gehört, daß man dir zwei Diener zugeteilt hat. Wie kommt das? Es heißt, die Yuang-Brüder seien in unsere Villa gekommen und hätten auf dein Geheiß hin all deine Sachen mitgenommen, deine schönen Kleider und Kunstwerke und Bücher, alles, was ein Edelmann braucht, sogar deine Parfüms.«
    »Davon weiß ich nichts«, erwiderte Ying.
    »Du lügst«, stieß seine Mutter unter Tränen hervor. »Sag, daß das nicht wahr ist.«
    »Ich darf nicht darüber sprechen.«
    »Sind dir die Yuang-Brüder zugeteilt worden oder nicht?« bohrte Li-wen. »Ich will es wissen.«
    »Ja«, antwortete er.
    »Weißt du, wer sie sind?« fragte seine Mutter vorwurfsvoll. »Sie waren die persönlichen Diener von Hsueb Ko, der enthauptet worden ist. Und jetzt sind sie deine Diener. Was für finstere Dinge gehen hier vor?«
    Ying schüttelte unglücklich den Kopf. »Ich darf euch nur sagen, daß ich fort muß, doch ich werde zurückkehren und unseren guten Namen von der Schande reinwaschen.«
    »Warum später und nicht sofort?« kreischte Li-wen. »Schließlich war dein Vater ein Dieb, nicht meiner, und trotzdem werde ich dafür bestraft. Ich hasse dich!«
    Seine Mutter nahm ihn am Arm. »Man sagt, du stehst in der Gunst des ehrwürdigen Schatzmeisters, eines mächtigen Mannes. Warum setzt du dich nicht für uns, deine Familie, bei ihm ein? Warum läßt du zu, daß dieses Unglück über uns hereinbricht?«
    »Glaubt mir, ich versuche mein Bestes.«
    »Er hat uns verraten und verkauft. Er versucht, nur sich selbst zu retten«, fiel Li-wen ein. »Er wird uns nicht helfen, es hat keinen Sinn, ihn darum zu bitten.« Sie spuckte ihm auf den Saum seines Gewandes. »Deine Mutter hat recht. Du bist heimtückisch, du hast uns betrogen.«
    Verächtlich wandten sich die beiden Frauen von ihm ab.

2
    D as Haus des Bischofs schien geschrumpft zu sein. Die Decke war niedrig, die Zimmer klein, und erst die Treppe! Lew konnte den Blick nicht von der Treppe abwenden, die er früher wie ein olympischer Athlet hinaufgesprungen war, um mit genau dreieinhalb Sätzen den Treppenabsatz zu erreichen. Jetzt sah sie eher winzig aus. Aus dem kleinen Jungen war ein hochgewachsener Mann geworden.
    »Es heißt, er habe nicht gelitten, Lewis«, sagte der Bischof. »Er ist als Märtyrer für die Kirche gestorben.«
    »Danke.«
    »Laß uns niederknien und für ihn beten, und auch für deine liebe Mutter. Sie haben beide ihr Leben für den Herrn gegeben.« Lew kniete sich hin. Warum nur brachte er vor diesem alten Mann kaum einen Ton heraus? Aus Ehrfurcht vor dem Alter, wie sie bei den Chinesen üblich war? Nein, diese Erklärung galt nicht, denn schließlich hatte er sich, schon seit er denken konnte, vor dem Bischof gefürchtet. Als Kind hatte man ihn ständig ermahnt, in Anwesenheit des Bischofs ruhig zu sein und stillzusitzen. Gelegentlich hatte der alte Mann wie ein Schulmeister seine Bibelverse abgehört. Schließlich erwartete man vom Sohn eines Missionarsehepaars, daß er alle Gebete vorwärts und rückwärts aufsagen konnte, alle Hymnen kannte und die Bibel auswendig gelernt hatte. Wenigstens war es ihm so vorgekommen. Früher hatte Lewis immer angenommen, daß man im Himmel eine Art Punktekonto ansparen konnte, das um so schneller anwuchs, je länger die Gebete waren. Bei diesem Gedanken mußte er lächeln. Einmal hatte er absichtlich die Gebete durcheinandergebracht, die er aufsagen sollte, hatte sie falsch aufgesagt, den Bischof verärgert und seine Eltern blamiert und war daraufhin hart bestraft worden. Sein Vater hatte ihn geschlagen, und dann war er von seiner Mutter hungrig zu Bett geschickt worden. Aber das war die Sache ihm wert gewesen – viel lustiger als Feuerwerkskörper loszulassen.
    »Wir beten für die Seele von Elizabeth Cavour«, fuhr der Bischof eintönig fort, »die ihr Leben opferte, um heidnische Seelen durch das Wort Gottes zu

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