Sonnenfeuer
dieser grünen, freundlichen Küste, an der, wie Ying wußte, gefährliche wilde Aborigines-Stämme lauerten.
Sie waren dreimal angegriffen worden, zweimal von Piraten auf dem Meer. Lew hatte rund um die Uhr Wachen aufgestellt, und als harmlos aussehende Fischerboote allzu nahe herankamen, hatte die Mannschaft so unvermittelt das Feuer eröffnet, daß die Piraten beide Male schleunigst das Weite gesucht hatten. Der Überfall an Land war allerdings beängstigender gewesen. Er ereignete sich in einem javanischen Fischerdorf, wo sie von den Bewohnern überaus freundlich empfangen worden waren, als sie an Land kamen, um Lebensmittel zu kaufen und die Wasserfässer aufzufüllen. Kaum hatten Lew und Ying mit seinen beiden Dienern das Dorf betreten, wurden sie von bis an die Zähne bewaffneten Männern umringt. Zum Glück hatte Lew bewaffnete Kulis und Matrosen zur Verstärkung mitgenommen, und so mußten sich die Banditen bald zurückziehen.
Lew hatte den Anführer erschossen und zur Strafe dafür, daß die Javaner arglose Seefahrer anlockten und dann überfielen, das ganze Dorf niedergebrannt. In den Hütten fanden sie grausige menschliche Schädel nebeneinander aufgereiht. Anschließend hatte Lew erklärt, daß die Strafe zwar hart, aber unvermeidlich sei, und Ying mußte darüber lächeln. Fürst Cheong hätte jeden einzelnen in diesem Dorf abgeschlachtet, Männer, Frauen und Kinder.
Eigenartigerweise sprach keiner der beiden Männer von seinen Eltern. Lew erwähnte seinen Vater mit keinem Wort; unter dem Vorwand der Höflichkeit fragte Ying auch nie nach und vermied so zugleich, daß das Gespräch auf seinen verstorbenen und in Ungnade gefallenen Vater kam.
Lew schlenderte über das Deck. »Jetzt ist es nicht mehr weit«, meinte er. »Pack schon mal die Wanderstiefel aus.«
»Mußt du mir denn diesen herrlichen Tag mit so etwas verderben«, erwiderte Ying finster. Er freute sich nicht im geringsten auf den nächsten Teil seiner Reise. »Aber weißt du, was ich mich frage? Wo ist die Wüste? Meine Lehrer haben mir erzählt, daß dieses Land nur aus riesigen unfruchtbaren Wüsten besteht.«
»Hinter den Bergen, nehme ich an.«
»Und diese Berge muß ich überqueren, um zu den Goldfeldern zu gelangen«, sagte Ying bedrückt.
»Mach dir keine Sorgen, du wirst genug Gesellschaft bekommen. All die Schiffe, die wir gesehen haben, sind unterwegs zu dieser Küste und voll von Goldgräbern. Es soll ein größerer Goldrausch sein als in Kalifornien. Morgen laufen wir in Bowen ein, und ich wünsche mir schon, ich könnte mit dir kommen. Das Goldschürfen könnte mir vielleicht Spaß machen.«
»Nein! Das darfst du nicht!« rief Ying entsetzt aus. »Niemals! Du mußt hierbleiben und das Schiff bewachen. Du mußt in Bowen bleiben und mich dann mit dem Gold wieder nach China zurückbringen. So lauten die Befehle!«
»Keine Sorge«, beruhigte ihn Lew. »Ich werde hier sein. Ich bringe dich schon wieder nach Hause.«
4
W ie immer hatte Glory Molloy recht gehabt. »Halt dich ran«, hatte sie gesagt, »Middletons haben hier ja sonst keine Bekannten, und da würde es mich nicht wundern, wenn du bei ihnen demnächst fast zur Familie gehörst.«
So war es auch gekommen. Zum vierten Mal in diesem Monat war Herbert nun von den Middletons zum Essen eingeladen worden. Herbert war ihre Verbindung zur Stadt und zu den Einheimischen; beispielsweise hatte er sich nützlich gemacht, indem er Jack beim Kauf von drei Pferden für die Familie begleitet und ihm geholfen hatte, einen Stall in der Nähe anzumieten. Darin hatte sich Herbert, der auf seine Reitkünste sehr stolz war, erboten, Perfy und ihrem schwarzen Dienstmädchen das Reiten beizubringen. Allerdings hatte er sich damit einiges vorgenommen.
Zu Beginn des Unterrichts behauptete Perfy noch steif und fest, sie komme mit Pferden durchaus zurecht. Herbert hatte so seine Zweifel, und wie sich dann herausstellte, wußte Perfy nicht einmal, wie man richtig im Sattel sitzt. Diamond dagegen war überzeugt, sie würde niemals reiten lernen, doch nachdem sie ihre Scheu vor Pferden erst einmal überwunden hatte, machte sie sich gar nicht so schlecht.
Zu Herberts stillem Vergnügen behandelten Mrs. Middletons neue Freundinnen ihn, den berühmten Haus- und Grundstücksmakler, mit großem Respekt. Sie hatten keine Ahnung, daß er früher einmal Glory Molloys Pianospieler gewesen war. Wie sollten sie auch? Ihre Ehemänner, allesamt Stammkunden in Glorys Haus, konnten wohl schlecht vor ihren
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