Sonnenfinsternis: Kriminalroman
erwiderte: « Na wenn schon! Ich habe Mujo seit Juli nicht mehr gesehen.» Dann liess sie sich schwerfällig auf ihren Stuhl plumpsen und flüsterte wie zu sich selbst: « Seit Juli !» Ein paar Sekunden sass sie so da, bevor sie unvermittelt leise hinzufügte: «Ich hoffe so sehr , dass er sich bald mal wieder bei mir meldet.»
Nun war es an mir, zu starren. Hatte ich richtig gehört?
Ein paar Sekunden sassen wir so da, dann fragte sie leise: «Wieso starren Sie mich so an?»
«Frau Rappolder», antwortete ich sanft , «Mujo Hasanović ist tot.»
Ungläubig erwiderte sie zögerlich: «Was? Aber nein, wo denken Sie hin, ich…»
«Lesen Sie das», unterbrach ich sie abrupt und wiederum barscher, als ich eigentlich beabsichtigt hatte, und legte die Kopie einer Seite des Polizeiberichts vor sie hin, den mir Zada besorgt hatte. D ass der Tote von seiner Ehefrau identifiziert worden war, hatte ich mit gelbem Leuchtstift angestrichen.
W iderwillig senkte sie den Blick auf das Blatt Papier.
«Lesen Sie den hervorgehobenen Absatz», wies ich sie an.
Nach ein paar Sekunden schaute sie auf und stiess starrköpfig hervor: «Na und? Sie kommen hier rein mit diesem gefälschten Wisch und…»
Ich unterbrach sie und sagte halblaut, aber bestimmt: «Mujo ist tot, Frau Rappolder! Er ist ermordet worden. Ich weiss, dass es schwer für Sie sein muss, aber es ist so. Ich bin auf der Suche nach dem Grund und nach den Tätern. Helfen Sie mir also!»
Ich konnte sehen, wie sie mit ihren Emotionen rang. Zunächst geriet sie erneut in Rage und beschimpfte mich eine Zeit lang heftig . Ich blieb ruhig. Dann fiel sie mehr und mehr in sich zusammen wie ein Aufblaspuppe , der langsam die Luft ausgeht, und schiesslich sass sie wie ein Häuflein Elend auf ihrem Stuhl. Schliesslich begannen ihre Schultern zu zucken und ich hörte sie leise schluchzen.
Offensichtlich hatte sie wirklich nichts von Mujo Hasanovićs Tod gewusst. Entweder das, oder ihre Leistung war mehr als oscarreif. Obwohl sie mir offensichtlich glaubte, fühlte ich kein e Erleichterung . Weinende Frauen über forderten mich, und das war jetzt schon die zweite allein in dieser Woche. Ich wusste nicht, was ich tun oder sage n sollte , um sie zu trösten. Also wartete ich. Wenigstens das konnte ich gut.
Schliesslich beruhigte sie sich wieder einigermassen. Mit nassen Augen und tränenerstickter Stimme fragte sie tonlos: «Es stimmt also ?»
«Ja», erwiderte ich sanft, «es tut mir wirklich sehr leid, aber es stimmt leider.»
«Mujo ist wirklich tot? Nicht nur tot, sondern sogar ermordet worden?»
Ich nickte und wiederholte wenig originell : «Es tut mir leid.»
Sie senkte den Blick erneut und sass sicher eine Minute lang einfach so da. Als sie schliesslich wieder aufschaute, war die plötzliche Wandlung erstaunlich, fast erschreckend. Ihre Miene war finster und um ihren Mund spielte ein harter Zug, als sie fragte: «Wie ist das passiert?» Und dann, nach ein paar Sekunden: «Hat mein Bruder etwas damit zu tun?»
«Ich weiss es nicht», antwortete ich wahrheitsgetreu und fragte dann: «Würden Sie ihm denn einen Mord zutrauen? Er ist immerhin Ihr Bruder.»
Sie verwarf etwas ratlos die Hände. «Ich weiss es nicht. Aber wenn ich so zurück denke… Wissen Sie, als Kinder standen wir uns sehr nahe. Ich habe zu ihm aufgeschaut und er hat immer sehr für mich gesorgt. Mein grosser Bruder.»
Sie legte den Kopf ein wenig zur Seite , als sie nachdachte . «Ich erinnere mich noch genau an diese eine Begebenheit. Ich glaube, da war in ich der fünften Klasse. M eine damalige Lehrerin hatte aus unerfindlichen Gründen etwas gegen mich und hackte dauernd auf mir herum.»
«Wissen Sie noch, wie sie hiess?»
«Nein… oder warten Sie… nein, tut mir leid.» Plötzlich schnippte sie mit den Fingern und stiess hervor: «Oder doch! Roulet! Genau! Sie hiess Roulet!»
Ich notierte mir den Namen und fragte: «Und wo sind Sie damals zur Schule gegangen?»
«In Frenkendorf.»
«Nicht Liestal?»
«Nein, da sind wir erst ein paar Jahre später hingezogen. Aber sagen Sie mal, woher wissen Sie das? »
« Nur so .» Ich notierte auch diese Information und forderte sie dann sachte auf: « Aber e rzählen Sie doch bitte weiter.»
«Also, d as war wirklich eine schlimme Zeit für mich. Es kam soweit, dass ich mich weigerte, zur Schule zu gehen. Mein Vater setzte sich nicht für mich ein. Er meinte nur, ich solle nicht so ein Drama machen und einfach damit umgehen lernen. Das werde
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