Sonnenfinsternis: Kriminalroman
den hatten. Also fragte ich: «Wie haben sie ihn denn über haupt kennengelernt?»
«Ich bin in einer Aktionsgruppe an der Uni, welche die interkultu relle Verständigung fördern will. Vor etwa einem Jahr haben wir eine Veranstaltung zum Thema Islam und der Westen organisiert. Dort habe ich ihn getroffen. Ich weiss gar nicht genau, wieso er eigentlich überhaupt da war. Na ja, wir sind dann ins Gespräch gekommen. Seine Geschichte hat mich fasziniert. Dann haben wir uns mal zum Kaffee getroffen, und eins hat dann das andere ergeben. Auf die altmodische Art eigentlich. Ich hätte zu dem Zeitpunkt sicher nicht gedacht, dass ich mich in ihn verlieben würde.»
«Hatten Sie eine sexuelle Beziehung?» Kaum hatte ich die Frage gestellt, kam mir der Anblick der nackten Sarah Rappolder in den Sinn. Während ich so gut wie möglich versuchte, das Bild ihrer schwingen den Brüste zu verdrängen, ergänzte ich: «Sie müssen nicht antworten, wenn…»
«Ja», unterbrach sie mich, «das hatten wir. Sogar eine sehr inten si ve.» Sie errötete leicht.
«Und wusste Ihr Bruder davon?»
Wieder hatte sie diesen undefinierbaren Ausdruck in den Augen, als sie zögerlich antwortete: «Ich denke nicht, nein.»
Ich fühlte, dass sie log. Aber weshalb? «Sind Sie sicher?»
«Na ja, wir haben auf jeden Fall nie darüber gesprochen.»
Sie schaute rechts an mir vorbei und rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her.
« Und k önnen Sie sich denn vorstellen, dass ihr Bruder Mujo aus irgendeinem Grund umbringen wollte?»
«Ich weiss es nicht. Ich glaube nicht. Aber wer weiss das schon? Karl-Johann ist sicher ein gewalttätiger Mensch, auch wenn er zu mir meistens nett ist.»
«Sagten Sie nicht, Ihr Bruder kenne Mujo gar nicht?»
«Eben darum sagte ich ja, dass ich es nicht glaube.»
«Aber er könnte jemanden umbringen?»
«Das weiss ich nicht.»
«Nehmen wir mal an, er hätte irgendwie Wind von der Sache mit ihnen zwei gekriegt…»
Sie schlug die Hände vor das Gesicht und stöhnte: «Oh mein Gott!»
«…wie hätte er dann reagiert? Vielleicht gleich wie bei ihrem türkischen Freund? Nur, dass er diesmal zu weit ging?»
Sie schüttelte den Kopf, sagte aber: «Ich weiss es nicht. Möglich.»
«Und dass er Sie nicht darauf angesprochen hätte? Blutschande und all dieser Blödsinn?»
Sie schüttelte wieder den Kopf. «Keine Ahnung. Ich meine, in letzter Zeit hat er kaum noch solches Zeugs zu mir gesagt. Weil er wusste, wie ich darauf reagiere, nehme ich an. Ich weiss wirklich nicht , ob …»
Sie stockte. Dann stellte sie plötzlich die Frage, auf die ich schon die ganze Zeit gewartet hatte: «Wie ist er eigentlich ermordet worden?»
Ich wich der Frage aus. «Er wurde im See gefunden»
«Musste er lange leiden?»
Vor meinem geistigen Auge erschien ein Bild von Mujos fürchter lich zugerichteter Leiche mit dem grotesk zugenähten Mund. «Nein», log ich, «ich glaube nicht . »
Sarah Rappolder war den Tränen wieder sehr nahe, als sie fragte: «Und wann ist es passiert?»
«Wir gehen davon aus, dass er irgendwann zwischen dem zehnten und zwölf ten Juli starb. Ziemlich sicher am elften.»
Sie stutzte. «Warten Sie kurz.»
Sie stand auf und ging aus dem Zimmer. Ich wartete. Einige Minu ten vergin gen, bevor sie wiederkam und verkündete. «Wir hatten am zwölften Juli eine grosse Familienfeier. Karl-Johann war nicht dabei, weil er zu der Zeit in Untersuchungshaft sass. Daran kann ich mich genau erinnern. Mein Vater war unglaublich wütend! Er nannte ihn die Familienschande . U nd dass er von ihm keinen Rappen mehr erhalte. Und dass er ihn aus dem Testament streichen würde. Karl-Johann war mehrere Tage im Gefängnis, glaube ich.»
Ich nickte. «Ja, vom zehnten bis fünfzehnten Juli.»
Sie musterte mich erstaunt. «Sie wissen davon?»
«Ja, ich habe das von der Polizei überprüfen lassen.»
«Und», fragte sie mit wachsender Empörung, «wieso stellen Sie mir dann all diese Fragen über meinen Bruder und wozu er fähig sein könnte?»
«Er könnte es in Auftrag gegeben haben.»
«Nicht Karl-Johann», antwortete sie bestimmt, «er erledigt seine Sachen immer selbst. Ich kenne ihn!»
Wir sprachen noch eine Weile über dies und das , aber es kamen dabei keine wesentlichen neuen Erkenntnisse mehr heraus. Schliesslich stand ich auf, dankte ihr für ihre Zeit und verabschiedete mich. Beim Hin ausgehen fragte ich aus alter Gewohnheit: «Gibt es noch irgend etwas, das Sie mir über Mujo oder ihren Bruder sagen
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