Sonnenfinsternis: Kriminalroman
«Hea Begić empfängt koane Besucha.»
«Es ist aber sehr wichtig.»
«Do koan i nix moch’n.»
Ivica war mittlerweile ans Ende des Tresens gerutscht. Mit strahlen dem Lächeln und aus allen Poren fliessendem Charme winkte er sie zu sich herüber. «Könn t en S ie mir freundlicherweise noch eine kurze Frage beantworten?» Er nahm ein gefaltetes Blatt Papier aus seiner Jackeninnentasche, öffnete es, strich es glatt und legte es vor sich auf den Tresen. Sie schaute ihn zuerst skeptisch an, ging dann aber doch die zwei Meter zu ihm hin und starrte zunächst verständnis los auf das Blatt. Ivi zeigte mit dem Finger auf etwas, beugte sich vor und flüster te ihr ins Ohr. Ich hörte sie verwirrt «ja, doch» stammeln. Dann nahm er einen Kugelschreiber hervor und begann, etwas auf das Blatt zu kritzeln.
Blitzschnell stemmte ich mich auf den Tresen, beugte mich vor und warf einen Blick auf den Monitor darunter. Wie erwartet hatte die solcherart abgelenkte Empfangsdame die Akte offen gelassen. Ich brauchte eine Sekunde, um Begićs Zimmernummer zu finden, da für mich alles kopfüber stand, aber da war sie . Zimmer 224. Bingo!
Praktisch im gleichen Moment gab die Dame Ivica eine gewaltige Ohrfeige und stiess in höchstem Masse empört hervor: «Jetzt höa mol, du Ungustl! Du Vollkoffa, du deppata, fäuln mi ned an, heast! Moch di vom Ocka oda i hol die Heh!»
Die Szene war so unfreiwillig komisch , dass ich nicht anders konnte als loszuprusten. Nun wandte sich ihr Zorn auch gegen mich, allerdings nur, bis Ivica ebenfalls loswieherte. Fluchtartig verliessen wir das Gebäude mit so viel Würde, wie noch übrig war.So viel zum Thema ‹nicht auffallen›.
Zurück auf der Strasse boxte ich Ivica in die Seite und fragte neugierig: «Was zum Geier hast du sie gefragt? Und was war da auf dem Blatt?»
Der Schalk blitze in seinen Augen. «Na, zuerst habe ich sie gefragt, ob ich ein gutaussehender Mann sei, wozu sie natürlich ja gesagt hat.»
Ich ahnte, was kommen würde. «Und dann?»
«Dann meinte ich, sie sehe etwas verspannt aus, und meiner Erfah rung nach wäre die Zusichnahme einer grossen Portion kroatischen Stier fleischs das beste Mittel dagegen.»
Ich grinste nun ebenfalls breit. «Aha. Und damit sie sich’s besser vorstellen konnte, hast du ihr noch eine Skizze angefertigt?»
«Genau!» Er kramte das zerknüllte Blatt aus der Hosentasche, strich es auf seinem Oberschenkel glatt und zeigte es mir. Die Skizze darauf war überraschend detailliert, wenn auch anatomisch zweifelhaft.
«Du Schwein!» Zum zweiten Mal, seit ich in Wien angekommen war, kriegte ich einen Lachanfall.
Ivica grinste noch breiter, wenn das überhaupt möglich war, und hielt mir die flache Hand hin. Ich schlug ein.
Zurück im Café fragte er : «Sag mal, hat die überhaupt Deutsch gesprochen? Ich hab keine Ahnung, was sie mir da an den Kopf geworfen hat.»
«Wienerisch.»
«Du verstehst das?»
«Nicht alles. Aber ein Ungustl ist ein widerlicher Typ, soviel ich weiss. Ein Vollkoffer ist ein Idiot, und die Heh sind die Bullen.»
«Und woher weisst du das alles?»
«Ich hatte mal eine Wiener Freundin.»
«Und die hat dir solche Ausdrücke an den Kopf geworfen?»
Dazu sagte ich lieber nichts.
Fünf Stunden und vier Currywürste später waren wir zurück im Frohsinn . Ich hatte ausgerechnet, dass die Amazone von vorhin mittlerweile nicht mehr im Dienst sein sollte , und ich behielt Recht. Niemand sah uns an, niemand stellte uns zur Rede und niemand hielt uns auf, als wir zügig zum Aufzug gingen und in den zweiten Stock hochfuhren. Vor Zimmer 224 angelangt, schaute ich kurz nach links und rechts. Keiner weit und breit. Ich klopfte und wir traten ein, ohne auf Antwort zu warten.
Die Einrichtung des etwa vier auf fünf Meter grossen Zimmers erinnerte mehr an ein Altersheim als an ein Spital. Es war klar, dass hier jemand wohnte und nicht nur für kurze Zeit in Pflege war. Die Wände waren in fröhlichem Ockergelb gestrichen und strahlten ein Gefühl angenehmer Wärme aus. Es gab eine Kochnische, einen kleinen Tisch, der vor dem einzigen, aber grossen Fenster stand, und ein gut gefülltes Bücherregal an der gegenüberliegenden Wand. In der Mitte stand ein gemütliches Bett aus Buchenholz. Die weissen Laken und die ockergel be Bettdecke darauf waren zerwühlt. Eher unangenehm überrascht stellte ich fest, dass rechts daneben noch ein zweites Bett stand. Es war eines dieser hydraulisch betriebenen Spitalbetten mit Stahlrohrgestell
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