Sonnenfinsternis: Kriminalroman
impulsiv, ab und zu jähzornig und neigte dazu, während eines Streits mit Gegenständen um sich werfen. Als in dieser Hinsicht typisches Einzelkind hatte sie manchmal Mühe, sich in andere hineinzuversetzen und konnte eine gewisse Altklugheit nicht immer verbergen. Sie war aber oft genug nackt, um mich davon abzulenken. Das einzige, was mich wirklich an ihr störte, war ihr Musikgeschmack. Das heisst, sie hatte keinen. Mozart, Bach oder Schubert, vielleicht auch einmal Händel, damit konnte ich leben. Ansonsten bevorzugte sie aber die Art seichten Unterhaltungspop, der seit den frühen Neunzigerjahren unter dem Namen Eurodance Angst und Schrecken unter echten Musikliebhabern verbreitet e . Ich respektier te DJ Bobos Geschäftssinn, aber seine Musik verursachte bei mir Magengeschwüre. Er war aber bei weitem nicht der Schlimmste. Einmal hatte ich noch in Fionas Türrahmen auf dem Absatz kehrt gemacht und war wieder nach Hause gegangen, als mir aus dem Wohn zimmer Scooters ‹ Hyper, Hyper › mit hundertzwanzig Dezibel entgegen geschallt hatte. Komischerweise hatte meine Freundin überhaupt kein Verständnis für meine Reaktion aufgebracht.
Als ich ankam, stand Fiona bereits in der Küche und grinste mich schelmisch an. «Wie hungrig bist du? Wir könnten auch nachher essen. Ich muss nur den Ofen ausschalten.»
Das klang überzeugend.
Eine gute Dreiviertelstunde später sassen wir nackt und verschwitzt am kleinen Tisch in Fionas geräumiger Küche und unterhielten uns über dies und das, während das Hühnchen Calypso im Ofen zu Ende brutzel te.
Obwohl sie meine Arbeit nicht mochte, hatte Fiona das Talent, aus jedem noch so langweiligen Fall ein Abenteuer zu machen, auf welches Huckleberry Finn neidisch gewesen wäre. Gerade hatte ich eine simple Observation abgeschlossen, bei der ich herausfinden sollte, ob ein Kadermitglied einer mittelgrossen Schweizer Bank wirklich zu hundert Prozent arbeitsunfähig war, und obwohl es reine Routine gewesen war, wollte sie alle Details wissen. «Und das ist wirklich kein Witz? Er ist aus dem Rollstuhl aufgestanden, um einer Prostituierten die Tür zu öffnen?»
«Zwei Nutten, genau genommen.»
Sie warf den Kopf zurück und lachte aus vollem Hals. «Wie iro nisch!»
«Selber schuld.»
«Ja», gluckste sie, «aber man muss doch fast Mitleid haben mit ihm! Was passiert jetzt?»
Mein Mitleid hielt sich in Grenzen. Ich zuckte mit den Achseln und ant worte te: «Keine Ahnung. Fristlose Kündigung, Rückforderung, Schadenersatz, was weiss ich. Ich war nur für die Observation zuständig.»
In diesem Moment piepste der Ofen.
Nach dem Essen duschten wir gemeinsam, was erwartungsgemäss eine Weile dauerte. Dann zogen wir uns bequem an und richteten uns für den Abend ein. Fiona trug ein leichtes, dunkelbraunes Leinen kleid chen, ich schwarze Trainerhosen, ein grünes FCSG -T-Shirt und keine Socken.
Der Abend war noch jung , und Fiona wollte noch ein wenig arbei ten, bevor wir ins Bett gingen oder uns vor die Glotze setzen. Ich beschloss, das schöne Wetter auszunutzen und fischte daher Irving Stones Klassiker ‹Vincent van Gogh: Ein Leben in Leidenschaft› von Fionas Bücherregal, dass ich für genau diesen Zweck da deponiert hatte, und streckte mich auf ihrem bequemem Liegestuhl aus. Es konnte nicht schaden, etwas über meinen berühmten Namensvetter zu wissen, schliesslich war mein Nachname der Anlass vieler blöder Sprüche. Erst kürzlich hatte Mina auf die Frage, ob sie mir bitte den Hefter rüber reichen könne, geantwortet: «Und wenn nich ‘ ? Schneidst e dir dann ein Ohr ab?»
Mitten in Vincents erster Begegnung mit seiner zwei Jahre älteren Cousine Kay entfaltete die angenehm warme Abendsonne ihre volle Wirkung und ich döste ein.
Ein nervtötendes Vibrieren in meiner rechten Hosentasche weckte mich auf . Schlaftrunken kramte ich mein Handy hervor und betrachtete die Nummer auf dem Display. Sie kam mir nicht bekannt vor. Das bedeutete allerdings nur, dass der Anrufer oder die Anruferin nicht zu meinem regulären Freundes- und Bekanntenkreis gehörte. Ich hatte die Angewohnheit, nach Abschluss eines Falls die dazugehörigen Kontakt daten auf meinem Laptop zu speichern und von meinem Mobiltelefon zu löschen. So blieben meine Telefonnummern schön übersichtlich, und ausser dem reduzierte sich so die Wahrscheinlichkeit, dass ich betrunken pein liche SMS an die falschen Leute verschickte.
«Ja?», fragte ich in verschlafenem Ton. Mein melatoningetränktes
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