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Sonnenfinsternis: Kriminalroman

Sonnenfinsternis: Kriminalroman

Titel: Sonnenfinsternis: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Moor
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mir herunter und küsste sie, erst sanft, dann nochmals, intimer und leidenschaftlicher. Nach einer halben Ewigkeit löste sie sich von mir, setzte sich neben mich auf den Liegestuhl und schaute mir lange in die Augen. Dann sagte sie mit kehliger Stimme: «Genug gelesen?»
    Wir schafften es nicht bis ins Schlafzimmer.

Kapitel 8
     
    Die S12 kam pünktlich um ein Uhr dreiundzwanzig an meinem Ziel an. Schlieren war einer von Zürichs westlichen Vororten und primär bekannt für seinen Kinderchor, die ‹Schlieremer Chind›. Die industrielle Vergangenheit der Stadt war offensichtlich, und niemand kam wegen der Sehenswürdigkeiten hierher. Der triste Bahnhof passte perfekt zu dieser Stimmung, und der graue Himmel verstärkte den Eindruck nur noch.
    Das Zentrum der bosnischen Glaubensgemeinschaft lag gleich um die Ecke. Als ich in den Innenhof einbog, sah ich zu meiner Rechten ein langgestrecktes, schmales Industriegebäude, welches sich rund fünfzig Meter die Grabenstrasse entlang zog und zusammen mit dem recht winklig dazu stehenden Anbau ein riesiges ‹L › bildete. Gegenüber befand sich ein modernes Bürogebäude mit Flachdach. Noch v on meinem letzten Besuch her wusste ich, dass der unauffällige Eingang zum Džemat am anderen Ende des Hofes lag.
    Ich stieg die Treppen hoch und betrat den Klubraum durch einen kleinen, vorne offenen Flur. An den beiden Wänden dieses Flurs hingen die Namen der Gemein schafts mitglieder sowie die Namen und gespen de te n Geldbeträge der Gönner. Der rechtwinklig zum kurzen Flur stehen de, grosse und nach innen völlig offene Klubraum war voll mit lange n Holzt ische n . An einem davon sassen drei ältere Männer und spielten Karten. Alle hatten sonnengegerbte Haut und grosse Schnurr bärte. Als sie mich hereinkommen sahen, hielten sie inne und starrten mich schweigend an. Ich konnte es ihnen nicht verdenken. Ich passte ungefähr so gut hierher wie ein Atomkraftwerk an die Côte d’Azur.
    An den bleichen Wänden zwischen den breiten, raumhohen Fenstern hingen allerlei Memorabilien aus Bosnien und verschiedene islamische Symbole. Zu meiner Linken war eine Art Empfang, der auch als Kiosk diente. Eine hübsche junge Frau mit slawischen Gesichtszügen und Kopftuch telefonierte in einer mir völlig unverständlichen Sprache und sah mich fragend an. Ich schüttelte meinen Kopf und wartete artig, bis sie ihr Gespräch beendet hatte. Dann sagte ich auf Hochdeutsch: «Guten Tag, ich habe einen Termin bei Imam Kulenović.»
    Amüsiert zog sie die Augenbrauen hoch und antwortete in astreinem Zürcher Dialekt: «Er ist noch in einer Besprechung mit der Gönnerver einigung. Möchten Sie etwas trinken?»
    Ich hätte mich ohrfeigen können. Natürlich , sie war hier aufge wach sen, wie hunderttausende von Immigranten kindern . Zerknirscht ant wortete ich: «Ja, das wäre super. Ein Glas Mineralwasser, bitte.»
    «Wir haben nur Flaschen. Ist das okay?»
    Ich bejahte, nahm die dargebotene Flasche und das dazugehörige Glas in Empfang und setzte mich an einen der freien Tische. Die Kartenspieler hatten sich mittlerweile wieder ihrem Zeitvertreib zugewandt.
    Fast alles, was an den Wänden hing oder auf den Tischen stand, schien mir exotisch und fremd. Wenn etwas beschriftet war, dann ent weder auf Arabisch oder Bosnisch. An der Wand links von mir hing eine arabische Kalligraphie in einem goldfarbenen Rahmen. Es war die einzige, die ich erkannte, und das auch nur, weil Kulenović sie mir das letzte Mal erklärt hatte. Die fünf Säulen des Islams: Glaubens bekennt nis, Gebet, Almosen, Fasten und die Hadsch, die Pilgerfahrt nach Mek ka.
    Am anderen Ende des lang gezogenen Raums öffnete sich eine Tür und Ku le no vić kam zusammen mit drei Männern in grauen Anzügen herein. Sie schienen in eine hitzige Diskussion vertieft zu sein. Schliesslich küsste Kulenović jeden der drei zum Abschied auf beide Wangen und kam dann auf mich zu. Ich hoffte, er würde mich nicht auch küssen wollen.
    «Herr van Gogh, wie gut, Sie zu sehen», begrüsste er mich herzlich und mit festem Händedruck, aber ohne Bruderkuss.
    «Gleichfalls, Imam Kulenović, gleichfalls», erwiderte ich ebenso freundlich und kam dann gleich zur Sache. «Also, weshalb wollten Sie mich so dringend sprechen?»
    Er lachte auf seine breite, freundliche Art und antwortete: «Gehen wir doch in mein Büro, da können wir ungestört reden.»
    Sein Büro war bescheiden eingerichtet. Die Wände waren kahl bis auf ein schlichtes weisses

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