Sonnenfinsternis: Kriminalroman
überlegte einen Moment, bevor ich antwortete. «Ehrlich gesagt, ich weiss es nicht. Es gibt keine Erfolgsgarantie. Vor allem, nachdem die Polizei bisher auch keinen Erfolg hatte. Und deren Ressourcen sind wie gesagt viel grösser als meine. Andererseits haben wir aber auch ein paar Vorteile auf unserer Seite…»
«Welche?»
«Nun, zum einen hat die Polizei viele Aufgaben und viele Fälle, die sie bearbeiten muss. Mujo ist nur einer davon, und je länger die Erfolglosigkeit andauert, desto kleiner ist das Interesse der Medien und somit auch der Polizei daran.»
Kulenović übersetzte für die Eisprinzessin und betrachtete mich dann nachdenklich. «Ist das nicht etwas zynisch?»
«Nennen Sie es, wie sie es wollen», antwortete ich ungerührt, «aber so funktioniert das. Es ist kein böser Wille dabei, es ist einfach so. Praktisch jedes Po li zeikorps in der Schweiz leidet an chronischem Unterbestand. Im inter natio na len Vergleich ist zwar die Aufklärungs quote vor allem bei Gewaltverbrechen nach wie vor sehr hoch, aber die Mög lichkeiten der Polizei sind trotzdem begrenzt, und die Zeit bleibt ja nicht stehen. Es kommen laufend neue Fälle hinzu. Wissen Sie, die meisten Gewaltverbrechen sind Beziehungsdelikte und die Täter rasch ermit telt. Oft stellen sie sich sogar selber. Wenn sich deshalb in einem Fall wie unse rem nach mehreren Wochen nichts ergibt, dann sinkt die Aufklärungs-Wahr schein lichkeit rasch. Und im Gleichschritt sinkt die Zahl der zugeteilten Ressour cen. Dem muss man ins Auge sehen.»
Kulenović übersetzte erneut und nahm danach einen Schluck Kaffee. Ich wollte es ihm gerade gleichtun, als Jasmina Hasanović sichtlich erregt die Arme verwarf und einen Wortschwall ausstiess. Ich schaute Kulenović fragend an. Wieder war es ihm offenkundig peinlich, aber er übersetzte sofort. «Jasmina ist der Meinung, dass die Polizei sich mehr bemüht hätte, wenn das Opfer ein reicher Schweizer wäre.» Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: «Ich teile diese Meinung nicht.»
«Ich schon», erwiderte ich.
Er schaute mich überrascht an und fragte: «Ist das wirklich ihr Ernst?»
«Ja», erwiderte ich, «absolut. Schauen Sie, die Polizei ist eine Art Dienstleister und steht zumindest zu einem gewissen Grad unter Rechtfertigungszwang. Wie alle öffentlichen Behörden kämpft sie um Budgets und Ressourcen. Und wie in jeder Bürokratie gibt es viel internes Gerangel. Die Medienberichterstattung beeinflusst die zuständigen Politiker, und daher ist es logisch, dass einem Fall mit grossem Medieninteresse mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Da es sich in unserem Fall nicht um eine bekannte Persönlichkeit handelt, wäre aber höchstens die ungewöhnliche Art des Todes von Interesse für die Medien. Die se wurde aber erfolgreich zurückgehalten, wie Sie wissen. Also ist es für mich absolut klar, dass die Bemühungen mittlerweile nicht mehr gleich intensiv geführt werden wie bei einem Industriellen oder Politiker. Sie können es Zynismus nennen. Ich nenne es Pragmatismus.»
Kulenović trank den Rest seines Kaffees und starrte dann einige Sekunden lang nachdenklich auf die leere Tasse zwischen seinen Händen. Mein Monolog schien ihn nicht überzeugt zu haben. Er schaute mir in die Augen und meinte: «Das mag so sein. Trotzdem ist es eine Sichtweise des Lebens, die ich nicht teilen möchte. Auch wenn Ihnen das naiv erscheinen mag, in meinem Beruf muss ich an das Gute im Menschen glauben.»
«Das ist ein Luxus», erwiderte ich lakonisch, «den ich mir in meinem nicht erlauben kann.»
Kapitel 9
Während ich in einem der neuen, angeblich superleisen S-Bahn-Wagen zurück in Richtung Zürich rumpelte, starrte ich abwesend aus dem Fenster auf die vorbeihuschende Vorstadtidylle und überlegte mir das weitere Vorgehen.
Kulenović hatte mir die gewünschte schriftliche Auftragserteilung sofort ausgestellt und sie mir zusammen mit einem Umschlag über geben, welcher den versprochenen Bonus und mein Honorar für die erste Woche sowie einen grosszügig bemessenen Spesenvorschuss ent hielt.
Draussen huschte die graue Betonlandschaft unbeachtet vorbei. Das offen sicht liche Vertrauen, das mir Kulenović entgegen brachte, schmeichelte mir, aber es machte mich auch ein wenig nervös. Ich wusste, dass ich ein guter Ermittler war, aber trotzdem zweifelte ich daran, dass ich mehr als die Polizei herausfinden konnte. Andererseits gab es in einem Fall wie diesem immer viele Unwäg bar keiten, und es war durchaus
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