Sonnenfinsternis: Kriminalroman
möglicherweise der Ort des Verbrechens und der Ort, wo die Leiche gefunden wurde, irgendwie miteinander verbunden.
Ich hielt inne und trank einen weiteren Schluck Kaffee. Was fehlte noch? Auch wenn ich es nicht gerne in Betracht zog, konnte ich die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass meine verspätete Einschaltung in den Fall und die Weigerung Kulenovićs und Jasmina Hasanovićs, für Hasanović eine Vermisstenmeldung aufzugeben, ebenfalls etwas zu bedeuten hatten. Ich mochte Kulenović und hielt die Eisprinzessin zumindest nicht für eine Gattenmörderin, aber eigentlich kannte ich beide kaum. Also durfte ich die Möglichkeit, dass sie mich nach Strich und Faden belogen hatten und irgendein groteskes Spiel mit mir trieben, nicht von Anfang an ausschliessen. Aber ich hoffte natürlich, dass dem nicht so war.
Was noch? Es störte mich, dass ich immer noch keine genaue Vor stellung davon hatte, wer Mujo gewesen war. Oder wer seine Witwe , die Eisprinzessin, wirklich war. Woher in Bosnien kamen die Hasano vićs? Weshalb waren sie in die Schweiz gezogen? Was hatten beide im Bos nien krieg erlebt? Wie hatten sie sich kennen gelernt? Und weshalb hatten sie überhaupt geheiratet?
Ich war der festen Ansicht, dass die Menschen für den Schritt in die Ehe immer noch einen zweiten, unterschwelligen Grund hatten nebst der Sehnsucht nach der grossen romantischen Fernsehliebe, sei es nun finanzielle Sicherheit, die Erlangung einer Aufenthaltsbewilligung oder sonst etwas. Bei mir zum Beispiel war es Claudias Schwangerschaft gewesen. Mina hatte geheiratet, um ihrem Elternhaus zu entfliehen. Bei Markus Steiner kam für Leute mit seinen Wertvorstellungen ab einem gewissen Alter einfach nichts anderes in Frage. Und Ivica hatte seine Alenka nur so in die Schweiz nachkommen lassen können. Was also war es für die beiden Hasanovićs gewesen?
Ich brauchte dringend intellektuelle Unterstützung. Auf meine Bitte hin ging Mina deshalb den ganzen Fall nochmals mit mir durch, aber ausser der Ermahnung, meine Paranoia nicht zu übertreiben, kam ihr leider auch nichts in den Sinn.
Um Viertel nach elf gaben wir auf und genehmigten uns eine grosse Pizza in einem kleinen Laden gleich um die Ecke. Wie immer war meine Hälfte mit Schinken, Salami und Ananas belegt, während Minas aus Pilzen, Sardellen und Rucola bestand. Und wie immer erhielt ich für meine angeekelte Miene einen Tritt gegen das Schienbein.
Zurück im Büro überlegte ich mir meine nächsten Schritte. Nicht einmal die Polizei mit all ihren Mitteln und der ihr zur Verfügung stehenden Manpower hatte es geschafft, ein Motiv für den Mord zu finden, geschweige denn den oder die Mörder zu identifizieren. Auch die beim Mord verwendeten Hilfsmittel hatten die staatlichen Ermittler nicht weitergebracht, weder Angelschnur noch Isolierband, Kette oder Stahlträger. Und wenn das dem wissenschaftlichen Dienst nicht gelungen war, konnte ich es auch gleich vergessen.
Auch bezüglich des verwendeten Betäubungsmittelshatte die Kan tons polizei den Durchbruch nicht geschafft, obwohl sie alle Tierarzt praxen im Kanton abgeklappert hatte. Aber h atten sie wirklich an alles gedacht? Ich wusste es nicht.
Und was war mit dem Vorfall am Paradeplatz? Vielleicht hatte ja sonst noch jemand etwas bemerkt? Ich konnte natürlich mit Hasanovićs Foto hausieren gehen und herumfragen, aber das Ganze war immerhin schon über vier Monate her.
Ich starrte gedankenversunken auf den Bildschirm. Die Buchstaben ver schwam men vor meinen Augen. Meine Gedanken drehten sich im Kreis wie die Wäsche im Trockner.
Ich beschloss, dem weisen Rat meines Grossvaters zu folgen und mir zunächst einmal einen Whiskey zu gönnen, bevor ich ein paar vergrösserte Fotokopien von Hasanovićs Passfoto machte. Falls mir nicht vorher noch etwas Besseres in den Sinn kam, würde ich doch am Paradeplatz herumfragen müssen. Ausserdem musste ich Kulenović wohl bitten, Jasmina Hasanović zwecks Intensivbefragung ins Džemat zu bestellen. Ich wusste allerdings nicht, wie er darauf reagieren würde, und die Tatsache, dass ich dabei immer auf seine Übersetzerdienste angewiesen war, störte mich sowieso zunehmend. Vielleicht sollte ich Steiner bitten, mir einen externen Übersetzer zu schicken. Oder Ivica ins Boot holen? Als Kroate verstand er die Eisprinzessin wahrscheinlich auch, rein sprachlich zumindest. Ich konnte mir zwar kaum vorstellen, dass der Imam etwas mit der Sache zu tun hatte, aber es konnte trotzdem nicht schaden,
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