Sonnenfinsternis: Kriminalroman
irritieren, aber ich liess mir nichts anmerken und sagte auf munternd: «Okay. Erzählen Sie bitte weiter.»
Jasmina hatte nicht recht gewusst, was sie tun sollte, nachdem ihr Mann ausgestiegen war. Sollte sie ihm wirklich nachspionieren? Vielleicht war ja alles ganz harmlos? Angetrieben von einer inneren Stimme war sie in letzter Sekunde ebenfalls aus dem Tram gesprungen und ihm dann in weiter Entfernung gefolgt. Zu ihrem Schock hatte sie feststellen müssen, dass seine Endstation ein älteres Mehrfamilienhaus in einer Seitenstrasse hinter dem Schwimmbad Oerlikon war. Einige Zeit hatte sie vergeblich in der Nähe gewartet und gehofft, er käme gleich wieder heraus. Dann hatte sie sich die Adresse notiert, war nach Hause gefahren und hatte den ganzen Abend geweint. Als er spät in dieser Nacht endlich nach Hause gekommen war, hatte sie sich schlafend gestellt. Er hatte nur kurz ins Schlafzimmer geschaut und war dann im Bad verschwunden. Anschliessend hatte sie gehört, wie er sich es auf dem alten Sofa im Wohnzimmer bequem machte .
Ich unterbrach sie erneut. «Hat er das öfters gemacht, Frau Hasa no vić? Ich meine, auf dem Sofa zu schlafen?»
Aus irgendeinem Grund war ihr das sichtlich peinlich, aber sie antwortete: « In letzter Zeit immer öfters . Er kommt halt immer so spät nach Haus. Wenn ich schon schlafe. Am Morgen steht er oft früh auf. Manchmal hab ich nichts gemerkt, nur danach gebrauchte Sachen gesehen. Aber er kam immer nach Hause am Mittag.»
«Okay. Und sind Sie sicher, dass es eine andere Frau ist? Haben Sie sie gesehen?»
«Ne in .»
«Wie können Sie dann wissen, dass es um eine Frau geht? Vielleicht ist die Erklärung ganz harmlos?»
Es war ihr offensichtlich peinlich, aber sie sagte: «Ich bin ihm noch zweimal so gefolgt. Immer zu diesem Haus.»
«Aber Sie haben nicht wirklich je gesehen, ob er sich mit jemandem getroffen hat und, falls ja, mit wem?»
Sie zögerte einen Moment. Dann sagte sie trotzig: «Nein.»
«Woher wollen Sie dann wissen, wirklich wissen , dass es um eine Frau ging ? Vielleicht zockte er heimlich ? »
Jasmina wollte davon nichts hören. «Es ist eine Andere. Eine Frau spürt das.»
«Könnte es nicht auch ein Mann sein?»
Sobald mir die Bemerkung herausgerutscht war, bereute ich sie auch schon. Obwohl mir Mina erzählt hatte, dass nicht wenige liebevolle Väter und vordergründig treue Ehemänner eine aussereheliche Affäre mit einem Mann hatten – oft, weil sie zu einer Generation gehörten, die noch nicht öffentlich zu ihrer Homosexualität stehen konnte – so stand es mir doch nicht zu, so etwas zu einer trauernden Witwe zu sagen. Ich hätte mich ohrfeigen können.
Jasmina begann wieder zu weinen, aber diesmal waren es eindeutig Tränen des Zorns. Ihr Kopf wurde ganz rot und ihre Augen blitzten. «Weshalb sagen so was? Mujo ist guter Mann! Ein richtiger Mann! Ein guter Moslem!» Es war mir zwar nicht klar, inwiefern diese drei Punkte als Argument gegen eine allfällige Homosexualität gelten sollte n , aber ich liess es auf sich beruhen. Wieder fühlte ich mich hilflos. Schliesslich nahm ich etwas unbeholfen ihr benutztes Taschentuch vom Boden auf und hielt es ihr hin. Sie starrte einen Moment lang völlig perplex darauf, dann begann sie hinter ihren Tränen zu lachen. Eine Weile lang weinte und lachte sie gleichzeitig, dann nahm das Lachen überhand.
Ich konnte es kaum fassen: Die Eisprinzessin konnte lachen!
Sie hatte ein tiefes, lautes, fröhliches Lachen und steckte mich damit an. Wir lachten, bis sich die Balken bogen. Eine ganze Zeit lang sassen wir nur so da und lachten um die Wette wie zwei Bekloppte. Mein Zwerchfell begann vor lauter Lachen zu schmerzen und mein Atem ging allmählich schwer.
Schliesslich erholten wir uns einigermassen. Ich holte tief Luft und bemerkte, dass ich ihr immer noch das Taschentuch hinhielt. Sie stand auf, nahm es mir aus der Hand und entsorgte es in der Küche. Dann holte sie sich ein n eues aus dem Badezimmer und liess sich erledigt wieder in ihren Sessel plumpsen. Sie blickte mich schmunzelnd an und meinte: «Ich habe sehr lange nicht so gelacht!»
«Das freut mich», antwortete ich zögerlich. «Wie gesagt, es tut mir leid. Ich wollte Ihnen oder Ihrem verstorbenen Mann in keiner Weise irgendwas unter stel len. Es ist in meinem Beruf einfach so, dass man versucht, an alle Eventuali tä ten und Möglichkeiten zu denken.»
«Ich verstehe», meinte sie darauf, «aber in meinem Beruf ist das halt nicht so
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