Sonnenfinsternis: Kriminalroman
du dir helfen lassen?»
Sie schaute nicht auf, als sie murmelte: «Wie Mujo?»
«Ja, von einem Therapeuten oder einer Therapeutin.»
«Ich spreche oft mit dem Imam.»
«Ich meinte professionelle Hilfe. Ein Doktor.»
Sie lächelte traurig. «Ich weiss. Ja, ich habe es versucht. Hat nicht geholfen.» Dann stand sie auf, ging in die Küche und schloss die Tür hinter sich.
Ich wartete eine Weile, aber sie kam nicht mehr zurück. Also stand ich ebenfalls auf und ging.
Kapitel 12
Das Gebäude an der Greifenseestrasse war aus den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, mit weissgetünchter Fassade, dunkelgrünen Fensterläden und einem braun-roten Ziegeldach. Die Fenster funkelten in der Morgensonne. Es war Dienstag. Seit Kulenovićs Anruf waren genau zwei Wochen vergangen.
Drei der vier Klingelknöpfe neben dem Hauseingang waren be schriftet. ‹I. + K. Gyurcsány›, ‹Hodler/Furrer/Schellenb.› und ‹S. Rap polder›. Ein Pärchen, vielleicht auch eine Familie. Eine Studenten-WG? Davon gab es hier viele. Die dritte Person lebte allein. Wahrscheinlich allein , korrigierte ich mich automatisch .
Während der nächsten Stunden beobachtete ich von meinem Wagen aus das Kommen und Gehen im Haus. Aufgrund meines Gesprächs mit der Eisprinzessin war ich primär an den Frauen im Haus interessiert. Aber es gab keine hunder t prozentige Sicherheit, dass Jasminas Gefühl wirklich stimmte und ihr Mann eine Affäre gehabt hatte. Also achtete ich im Moment auf alles.
Die Zeit verstrich quälend langsam. Wie immer, wenn ich mich langweilte, versuchte ich, nicht einzuschlafen.
Gegen halb zehn öffnete sich die Haustür und eine Gestalt trat heraus, die ich von meinem Standort aus mit blossem Auge nicht gut genug sehen konnte. Ich griff nach meinem Fernglas in der schwarzen Tasche auf dem Beifahrersitz. Es war ein Monokular 8x21, also kein Feldstecher, sondern so eine Art Minifernrohr. Ich kam mir damit zwar vor wie Kapitän Ahab, aber es war für meine Zwecke geradezu ideal: k lein genug, um in jede Tasche zu passen, aber trotzdem mit achtfacher Vergrösserung. Durch das Fernglas betrachtete ich die Person im Hauseingang genauer. Es war eine alte Frau. Sie sah aus wie eine der drei Hexen aus Macbeth, klein und buckelig. Auf ihrer Hakennase prangte prominent eine grosse Warze, und ihre grauen Haare waren im Nacken zu einem strengen Knoten zusammengebunden. Sie öffnete den Briefkasten ganz links, nahm die Post heraus und kehrte ins Haus zurück. Das war also wohl die eine Hälfte der Gyurcsánys.
In diesem Moment spazierte ein auffallend unattraktiver Mann mittleren Alters in Begleitung eines auffallend schönen schwarzen Labrador s an meinem Wagen vorbei und blickte mich missbilligend an , bevor er um die Ecke verschwand . Das war das Problem : Ferngläser waren auffällig und m an konnte leicht erwischt werden. Mit etwas Glück wurde man dann nur kopfschüttelnd als harmloser Spanner abgetan, aber es gab auch Leute, die gleich die Polizei holten.
Eine gute Stunde verstrich, bis sich wieder etwas tat. Die drei Figuren, welche dann aus dem Haus traten, sahen aus wie Extras in einem College-Film : Jeans, Turn schuhe und langärmlige T-Shirts mit darüber angezogenen Sport-Trikots. Einer trug die blau -weissen Farben der ZSC Lions, ein anderer die rot-blauen des FC Barcelona. Der dritte hatte das grüne Trikot des FC St.Gallen an und war mir damit auf Anhieb am sympathischsten. Ihre Erscheinung , ihr jugendliches Alter und die Tatsache, dass sie alle drei erst am späten Morgen von zu Hause weggingen , stützte meine Studenten-These. Ausserdem sahen sie ein wenig zerknittert aus, so als hätten sie eine harte Nacht hinter sich.
Wieder etwas später fuhr ein Kurier vor dem Haus vor, nahm ein paar Tüten aus dem Kofferraum und ging zum Haus. Lebensmittel. Er studierte zuerst die Klingelknöpfe – war also offensichtlich keiner der Hausbewohner – und läutete dann bei den Gyurcsánys. Nach kurzer Wartezeit öffnete sich das Fenster über dem Eingang. Ein alter glatzköpfiger Mann schaute heraus, und nach einem kurzen Wort wechsel betrat der Kurier das Haus . Kaum zwei Minuten später kam er pfeifend wieder zur Tür heraus.
Danach passierte wieder längere Zeit nichts mehr. Obwohl es erst kurz nach elf Uhr war, knurrte mein Magen bereits hörbar. Ich verdrückte deshalb genussvoll mein mitgebrachtes Mittagessen und spülte mit einer Cola nach. Dann schrieb ich eine kurze mentale Notiz an mich selbst: Keine
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