Sonnenlaeufer
zurückweisen, diese Gaben zu seinem Vorteil einzusetzen. Aber begehrte er sie nicht zum Teil auch wegen der Macht, die sie besaß? Und hatte Andrade sie nicht gerade deshalb zusammengebracht? Man erwartete von ihr, sowohl Faradhi als auch Prinzessin zu sein. Wenn sie aufhörte, Faradhi zu sein, welches Beispiel hätten ihre Kinder dann, wie man die Gaben weise einsetzte, die sie höchstwahrscheinlich erben würden? Sie würden die königliche Macht von Rohan erhalten – aber sie würden gleichzeitig sicher auch Faradhi’im sein. Die Loyalität eines Lichtläufers galt der Schule der Göttin, nicht einem einzelnen Prinzenreich. Man verlangte von ihr – und das würde bei ihren Kindern ebenso sein –, sich zwischen Andrade und Rohan zu entscheiden, und diese Wahl drohte sie zu zerreißen.
Nein. Das war eine Lüge. Sie schlug die Hände vors Gesicht und drehte sich auf den Bauch. Sie fühlte sich unfähig, die Berührung des weichen, kühlen Mondlichts auf ihren Wangen zu ertragen. Sie hatte ihre Wahl heute getroffen. Sie hatte ihre Kräfte eingesetzt, um zu töten.
Es war ja auch nicht der erste derartige Tod. Sie erinnerte sich an den Kellermeister in Stronghold, wie er zwischen ihr und Roelstras Faradhi hin- und hergerissen worden und wie er gestorben war. Auch damals hatte sie ihre Wahl getroffen und es noch nicht einmal bemerkt.
Aber da sie jetzt wusste, worum es ging, konnte sie sich weigern, Rohan zu heiraten. Sie konnte eine Lichtläuferin bleiben, ohne Prinzessin zu werden, bar jeglicher Versuchung. Sie konnte zusehen, wie er eine andere Frau ehelichte.
Niemals.
Lange Zeit lag sie da und atmete tief den feuchten, beißenden Geruch des zerdrückten Grases unter ihrer Wange ein. Die nächtliche Kälte ließ sie schaudern. Ihr blieb keine Wahl, und sie wusste das. Sie selbst hatte sich die Falle gestellt, mit ihren eigenen Gefühlen, ihrem Stolz, ihren Bedürfnissen. Sie würde Rohan heiraten und würde Lichtläuferin und Prinzessin sein. Wenn sie es von ihr erwarteten … dann erwartete sie es auch selbst von sich.
Sioned richtete sich auf, fuhr sich mit den Fingern durch das ungekämmte Haar und starrte eine Weile düster auf den Fluss. Schließlich erhob sie sich, ging zu dem sandigen Ufer hinunter und suchte im Mondschein nach ein paar glatten Flusskieseln. Sie rollte sie zwischen den Fingern, und ein grimmiges Lächeln zog über ihr Gesicht. Sie musste der Wahrheit ins Auge sehen. Rohan war der Lohn, der sie erwartete, denn sie war gekauft worden. Ein merkwürdiger Friede ging von diesem Wissen aus. Aber jetzt war die Zeit gekommen, wo er bezahlen musste.
Sie steckte die Steine ein und dachte an ihre Einkäufe auf dem Markt, und langsam breitete sich Erregung in ihrem Innern aus. Sie nährte diese Gefühle sorgfältig und rief sich Einzelheiten in Erinnerung: zarte, goldene Haut, seidiges, blondes Haar, ein geschmeidiger Körper, der sich an sie presste, warmes Fleisch und geöffnete Lippen … Heute Nacht würde sie einen Sieg erringen, der dem seinen um nichts nachstand, und die Prinzessinnen konnten toben, soviel sie wollten. Sie lachte laut auf, als sie sich deren Wut ausmalte. Rohan gehörte ihr; sie hatte für ihn bezahlt.
Ihre Sinne warnten sie abrupt, dass sie nicht mehr allein war. Sie wandte sich um, als eine tiefe Stimme sagte: »Euer Lachen ist so lieblich wie Euer Name, Lady Sioned. Und Euer Gesicht ist noch lieblicher.«
»Königliche Hoheit!«, brachte sie mühsam hervor und beugte ihre Knie vor dem Hoheprinzen. Ihre Gedanken wirbelten wild herum.
»Es war nicht meine Absicht, Euch zu erschrecken«, fuhr er fort. »Ich komme gerade zurück, nachdem ich Lady Palila zum Schiff geleitet habe. Sie schläft dort besser als im Zelt.«
»Dann ist das Bankett beendet, Euer Gnaden?«
»Gerade eben. Es hat früh angefangen, und ich bin dankbar, dass es nicht so lange gedauert hat. Morgen ist eine Menge Arbeit zu tun. Aber ich konnte noch nicht schlafen und habe beschlossen, einen Spaziergang am Fluss zu machen. Schön, nicht wahr? Vor allem im Mondschein.«
Er sprach weder vom Fluss noch schaute er zu ihm hin; er spielte auf Sioned selbst an, und sie wussten das beide. Sie spürte seine Männlichkeit tief in ihren Knochen, und ihr bereits sensibilisierter Körper reagierte auf Roelstras unbestreitbare Anziehungskraft. »Sehr schön, Euer Gnaden«, stammelte sie und fühlte sich durch ihre eigene Unbeholfenheit gedemütigt.
»Würdet Ihr mir die Ehre erweisen, den Mondschein mit mir zu
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