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Sonnenlaeufer

Sonnenlaeufer

Titel: Sonnenlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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Ich gehe zu ihm.«
    Die bräunliche Haut der Älteren lief rot an. In den großen, dunklen Augen, die ein wenig schräg in ihrem hübschen Gesicht standen, lagen tausend Fragen. Doch sie tat nichts weiter, als nach Sioneds Hand zu greifen.
    »Kommt ihr mit mir, du und Ostvel?«, bat Sioned. »Ich brauche euch beide – ich weiß nicht, was ich tun oder sagen muss …«
    »Nicht einmal tausend Drachen auf dem Weg könnten mich davon abhalten, einen Blick auf diesen Mann zu werfen!«
    Sioned lachte nervös. »Nun, das mit den Drachen hast du schon richtig erkannt.«
    »Die Wüste? Aber wer …?«
    »Der junge Prinz«, erwiderte Sioned und fühlte sich seltsam unfähig, seinen Namen auszusprechen.
    Camigwen starrte sie an und brachte kein Wort heraus. Doch als sie schließlich ihre Stimme wiedergewann, stöhnte sie nur verzweifelt. »O Schreck – und wir haben noch keinen einzigen Stich am Brautkleid genäht!«
    Die Spannung wich Gelächter, und Sioned umarmte ihre Freundin. »So praktisch kannst in einem solchen Augenblick auch nur du denken!«
    »Irgendjemand muss das doch, wenn du da herumstehst wie völlig verwirrt! Ach, Sioned! Es ist einfach wundervoll!« Camigwen trat einen Schritt zurück und musterte ihre Freundin aus zusammengekniffenen Augen. »Du findest das doch auch wirklich wundervoll, oder?«
    »Ja«, hauchte Sioned. »O ja.«
    Camigwen nickte befriedigt. »Ich sage Ostvel gleich, dass er eine Eskorte zusammenstellen muss. Was glaubst du, wie viele brauchen wir?«
    »Lady Andrade sagte zwanzig. Und wir müssen in sechs Tagen dort sein.«
    »Sechs?« Camigwen stöhnte und schüttelte den Kopf. »Das schaffen wir nie. Aber wir müssen es, und noch dazu rechtzeitig, oder ich bekomme meinen sechsten Ring nie, und Ostvel wird zum Stallknecht degradiert, anstatt zum Präfekten in der Schule aufzusteigen! Wir brechen morgen bei Tagesanbruch auf. Ich werde heute Abend noch den Stoff zuschneiden, dann kann ich unterwegs nähen!«
    Dank Camigwens Tüchtigkeit und Ostvels Autorität wurde alles so schnell arrangiert, dass Sioned nur noch der Kopf wirbelte. Schon vor Sonnenaufgang saß sie am nächsten Morgen auf dem Pferd und ritt gen Osten, der Wüste entgegen. Nur ein einziges Mal wandte sie sich zu dem Haus auf den Klippen um. Blaugraue Nebelschleier zogen um das Gebäude, und dahinter wölbte sich der Himmel noch nachtblau über dem Meer. Sie wusste, dass sie sich die Zeit hätte nehmen sollen, den Baum der Mutter nach ihrer Zukunft zu befragen, aber sie hatte keine Gelegenheit gehabt. Doch sie verspürte kaum Bedauern; alles, was zur Schule der Göttin gehörte, lag jetzt hinter ihr, und sie ritt in ihre Zukunft.
    Eine Zukunft mit einem Mann, den sie noch nicht einmal kannte.
    Am ersten Abend hielten sie vor Einbruch der Dämmerung an einem Seitenarm des Kadar-Flusses. Sie waren im Laufe dieses harten Tages ein gutes Stück vorangekommen. Sioned wurde von lebenslangen Freunden begleitet – Antoun, Meath, Mardeem, Palevna, Hildreth, alle ungefähr in ihrem Alter und mit derselben Faradhi- Ausbildung –, aber auch von einigen anderen, die Verwandte unterwegs hatten, die sich freuen würden, ihren Faradhi- Verwandten zu sehen und ihnen allen Schutz für die Nacht zu bieten. Die jüngeren Knaben und Mädchen waren für die Pferde und den Proviant verantwortlich, und so kam die verlangte Zahl von zwanzig zusammen. Sioned war erstaunt darüber, dass so viele Menschen bereit gewesen waren, so weit zu reiten, ihretwegen und auf Grund einer so lächerlichen Nachricht.
    Die meisten von ihnen saßen nach dem Essen ums Feuer. Mardeem sang ein Liebeslied und warf Sioned verstohlene Blicke zu, wann immer er eine besonders vielsagende Zeile erreichte. Camigwen saß im sicheren Kreis von Ostvels Armen und schimpfte, dass es nicht mehr hell genug war, um weiter am Brautkleid zu nähen. Sioned fiel in das allgemeine Gelächter ein, als Ostvel sie deswegen aufzog. Sie fragte sich, ob sie mit ihm wohl dieselbe liebevolle, spielerische Beziehung haben würde. Sie kannte ihn nicht, sondern hatte nur sein Gesicht im Feuer gesehen, vor Jahren schon. Sie war noch immer ein Mädchen, das sich von blauen Augen und ihrer Vorstellung, was in ihnen liegen könnte, verzaubern ließ. Warum ritt sie über so viele hundert Längen, um einen Mann zu heiraten, den sie nicht einmal kannte?
    »Bist du müde? Oder denkst du bloß nach?« Ostvel lächelte freundlich.
    »Ein bisschen von beidem«, antwortete Sioned. »Außerdem fürchte ich mich

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