Sonnenlaeufer
eine Frau mit einem jüngeren Bruder. In der Öffentlichkeit aber behandelte sie ihn ernst und höflich wie einen erwachsenen Mann, niemals wie einen kleinen Jungen. Als Rohan sie mit ihrem jungen Kameraden aufzog, erwiderte sie heiter, dass sie nur sichergehen wollte, dass die Frau, in die sich Walvis einmal verlieben würde, wirklich einen wunderbaren Ehemann bekäme. Würde sie sich über seine Gefühle lustig machen oder versuchen, sie zu ändern, so würde das vielleicht dazu führen, dass er Frauen ablehnte. So aber war er damit zufrieden, die Gemahlin seines Herrn anzubeten und ihr zu dienen. »Er wird damit aufhören, sobald er ein hübsches Mädchen in seinem eigenen Alter kennenlernt«, hatte sie Rohan erklärt. »Ich muss zugeben, dass ich meinen Knappen vermissen werde. Aber ich wette, dass das Mädchen rote Haare haben wird; er wird seine erste Tochter nach mir nennen.«
Rohan war klug genug, die Wette nicht anzunehmen.
Tilal und Riyan waren inzwischen aufgestanden. Sie kicherten noch immer. Da sie spürten, dass man sie beobachtete, winkten sie zu Rohan und Walvis empor. Riyan, dunkel wie seine Mutter und mit ihren auffallenden Augen, sprang auf und nieder und schrie aufgeregt: »Spielt doch noch einmal den Drachen, Prinz!«
»Noch einmal? Ich habe neulich den ganzen Nachmittag für dich den Drachen gespielt, und ihr habt mich mindestens zehn Mal umgebracht! Selbst ein Drache braucht etwas Ruhe. Und außerdem scheinst du einen anderen gefunden zu haben, der viel besser ist als ich.«
»Prinz!«, verlangte das Kind. Sein Tonfall verriet, dass Riyan sicher war, dass Rohan nachgeben würde. »Kommt herunter und spielt Drachen!«
Walvis holte Luft, um zu schimpfen, aber Rohan legte beruhigend eine Hand auf seinen Arm. »Ich würde viel lieber Drachen spielen, als diese ganzen Berichte zu lesen«, murmelte er traurig.
»Ihr habt noch nicht zu Abend gegessen, Herr. Und meine Herrin wird es mir übel vermerken, wenn ich zulasse, dass Ihr Euch erneut mit diesen beiden Wirbelwinden erschöpft.«
»Walvis«, meinte er müde, »du und meine Frau, wenn ihr doch endlich aufhören würdet, mich zu behandeln wie ein Drachenweibchen ein einzelnes Ei! Sehe ich in euren Augen denn so zart und kränklich aus? Oder glaubt ihr, dass ich alt werde? Klapprig und sabbernd mit siebenundzwanzig?« Er schnaubte. Dann lehnte er sich aus dem Fenster und rief den Knaben zu: »Heute Abend muss ich den Prinzen spielen. Wir heben uns den Drachen für morgen auf!«
Eine andere Stimme klang von unten herauf, und Rohan grinste, als Ostvel in den Garten stürzte. »Riyan! Tilal! Ihr wisst genau, dass ihr nicht so viel Lärm machen und euren Prinzen stören sollt!« Mit einer Hand schützte er seine Augen gegen die untergehende Sonne und blinzelte zum Fenster empor, wo Rohan stand. »Es tut mir leid, Herr. Wenn nicht fünfzig Augen auf ihnen ruh’n, verschwinden die beiden.« Ostvel packte mit einer Hand Riyans Schulter, als der Knabe sich anschickte, zum Tor zu fliehen.
»Schon gut«, erklärte Rohan, ohne sich um die väterlichen Erziehungsversuche zu kümmern. »Es tut gut zu sehen, dass sie Spaß haben.«
»Nun ja, heute gibt es jedenfalls keine Drachenspiele mehr«, befahl Ostvel und nahm seinen Sohn in den Arm. »Komm mit, Tilal. Ich bin sicher, du möchtest jetzt gern die Grasflecken aus meinem Umhang entfernen, und das dauert eine ganze Weile.«
»Aber ich muss heute Abend bei Tisch bedienen«, fing der Knabe an und warf einen hoffnungsvollen Blick zu Rohan hinauf.
»Das sollst du auch«, willigte Ostvel ein. »Der Umhang kann auf dich warten.«
Rohan wandte sich vom Fenster ab. Er verbarg seine Sehnsucht nach eigenen Kindern hinter einem Lächeln. Es sollten seine Söhne sein, die dort unten lachten und heranwuchsen und Drachen spielten. Seine Söhne … Sein Blick fiel auf die vielen Berichte auf seinem Schreibtisch, und er fasste einen schnellen Entschluss. »Ich werde heute nicht den Prinzen spielen, Walvis. Ich wünsche ein Bad, mein Abendessen und meine Gemahlin – in dieser Reihenfolge.«
Der junge Mann grinste ihn an. »Dann kommt meine Herrin also inzwischen erst an dritter Stelle, nach Säuberung und Sättigung?«
»Wenn sie keinen schmutzigen, übellaunigen Gemahl wünscht, dann ja!«
Walvis begab sich mit seinen Befehlen nach unten, und der Haushalt, den Camigwen vor Jahren organisiert hatte, setzte sich reibungslos in Bewegung. Während Rohan in der Wanne schwelgte, wurde ein üppiges Mahl für zwei
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