Sonnenlaeufer
eine Nachricht von Roelstra übersenden, was immer es war. Crigo hätte fast laut aufgeheult, als sein Körper schmerzhaft nach der Droge verlangte. Lady Andrade hatte ganz besondere Verbindungen zu Stronghold, Bande aus Verwandtschaft und Zärtlichkeit. Wenn er den jungen Prinzen verriet, dann bedeutete das, dass er sich selbst doppelt und dreifach verfluchen musste. So wertlos er in seinen eigenen Augen war, so wertvoll war er für Roelstra. Der Unterschied bestand in dem Preis, den seine Seele ihnen beiden wert war.
Langsam, unter Schmerzen, setzte sich Crigo auf. Er strich sich das dünne, blonde Haar aus den Augen, holte tief Luft – und goss sich ein Maß drogenversetzten Wein ein.
Palila hielt sich in Roelstras Gemächern auf, als der verräterische Lichtläufer gemeldet wurde. Sie war in Crigos Gegenwart immer nervös, denn er erinnerte sie an die bizarre alte Frau, die ihr vor Jahren das Dranath geliefert hatte. Sie hatte damals von einer Hexe in den Bergen gehört, die alle Arten von Flüchen und Wundermitteln garantierte. Von dem verzweifelten Wunsch nach einem Sohn beseelt – und da sie etwas brauchte, was sie in Lady Karayans Wein tun konnte, und das man weder feststellen noch auch nur vermuten würde –, hatte Palila die alte Frau heimlich zur Felsenburg kommen lassen. Allerdings war aus der Begegnung kein Sohn hervorgegangen, obwohl Palila alles getan hatte, was die Alte verlangt hatte. Aber Karayan war an etwas gestorben, von dem die Alte behauptete, es wäre Drachenblut, und zusätzlich hatte Palila das Geheimnis von Dranath kennengelernt. Ein Sohn wäre ihr weit lieber gewesen als die Gegenwart dieses bleichen, hageren Lichtläufers in der Felsenburg. Lady Andrade hatte Roelstra einen offiziellen Faradhi aus Gründen versagt, die nicht einmal gerüchteweise bekannt geworden waren. Palila fehlte er allerdings nicht, denn Lichtläufer taten Dinge, die ihr Angst machten, und in den fünf Jahren, die Roelstra Crigo benutzt hatte, war sie den Verdacht niemals losgeworden, dass er eines Tages an seine Grenzen stoßen würde. Wer konnte schon wissen, was jemand zu tun vermochte, den diese Hexe Andrade ausgebildet hatte? Aber Palila war klug genug, stumm auf ihrer Liege sitzen zu bleiben und ihre Sorge zu verbergen, denn Roelstra wünschte, dass sie Zeugin dessen wurde, was in dieser Nacht geschah.
»Komm herein, Crigo«, forderte der Fürst ihn auf. »Nimm Platz.«
Ein Stuhl war mitten ins Mondlicht gestellt worden. Crigo hockte sich darauf, in einen dicken Mantel gehüllt, obwohl der Raum noch immer warm war von der Sonne des Tages. Er schauderte, und seine Augen waren leicht getrübt von der Droge. Die drei kleinen Monde standen in weiter Ferne am Himmel, warfen ihre unscharfen Schatten und ließen Crigos sonst so bleiches Gesicht grünlich schimmern.
»Ehe die Nachricht übersandt wird, musst du etwas für mich tun, Crigo«, sagte Roelstra. Er zog eine Kerze aus der Tasche seiner Tunika, und Crigo schrak zusammen. »Ich möchte diesen jungen Prinzen sehen. Beschwöre ihn für mich herauf.«
Palila hielt den Atem an, und Roelstra warf ihr über die Schulter einen Blick zu. Hastig sagte sie: »Verzeiht mir, Herr, aber ich habe niemals …«
»Ich bin überzeugt, du wirst es interessant finden.« Er hielt dem Faradhi die Kerze hin. »Zünde sie an«, befahl er leise. »Zeige mir das Prinzchen, Crigo. Ich möchte sehen, welches dumme Kind mich beim Rialla erwartet.«
Crigo hob seine beiden dünnen Hände. Die sechs Ringe seines erworbenen Ranges schimmerten im Mondlicht. Der Docht erwachte zum Leben. Dumpf starrte Crigo zu Roelstra empor. Die winzige Flamme spiegelte sich in seinen Augen. Palila bemühte sich, nicht zurückzuweichen, als der Lichtläufer in das Feuer starrte, das er heraufbeschworen hatte.
Die Flamme wuchs, und ein Gesicht formte sich in ihm. Gegen ihren Willen fühlte sich Palila vorwärts gezogen und fasziniert. Zuerst das schwache Oval eines Gesichtes, gekrönt von hellem Haar; dann die Linien des Kinns, der Stirn, der Nase; schließlich traten die Züge deutlich hervor, sogar der Schwung der Lippen und die Farbe der Augen waren zu erkennen. Ein stolzes, sehr junges Gesicht, unreif und sich Roelstras feiner Manipulation der Macht nicht bewusst.
»Nun?«, fragte der Fürst abrupt. »Welche meiner Töchter passt zu ihm, Palila? Ich schätze deine Meinung.«
Schockiert starrte sie ihn an, abgelenkt von dem Gesicht im Feuer. Deshalb also hatte er beim Abendessen mit seinen
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