Sonnenlaeufer
älteren Töchtern gesprochen, dachte sie. Für gewöhnlich ignorierte er sie und zog es vor, sich auf die Kleinen zu konzentrieren, die ihn mit ihrem Geplapper amüsierten. Aber heute Abend hatte er eine jede von ihnen getestet. Und jetzt testete er sie! Ihr Verstand arbeitete fieberhaft, während sie versuchte, ihn zu durchschauen. Er hatte sicher längst beschlossen, welche seiner Töchter Rohan heiraten sollte. Sie musste jetzt diesen Entschluss erraten. Seine grünen Augen beobachteten sie in den wenigen Sekunden, die ihr zum Überlegen blieben, kalt und belustigt.
»Ianthe«, antwortete sie.
Er runzelte die Stirn, und sie wusste, dass die Antwort falsch gewesen war. »Warum sie?«
»Sie ist die hübscheste Eurer legitimen Töchter, und im Alter diesem Knaben sehr nahe. Sie ist sinnlich, und dieser Kindmann ist offensichtlich noch unberührt. Das kann jeder erkennen, der ihn ansieht. Ianthe wird in der Lage sein, ihn durch seine Sinne zu beherrschen, wenn sie schlau genug ist. Und die Göttin weiß, das Mädchen ist schlau.« Sie zwang sich, noch einmal in die Flamme zu blicken.
»Warum sollte ich ihm eine meiner legitimen Töchter geben?«
»Würde ein Mann von seinem Reichtum, seiner Herkunft und seiner Position einen Bastard akzeptieren?«, fragte sie grob.
»Jede meiner Töchter wäre eine Ehre, aber ich schätze, du hast recht. In diesem Gesicht liegt großer Stolz – und seine Mutter ist sogar noch schlimmer. Mach weiter.«
»Ianthe ist außerdem intelligent. Sie wird begreifen, wo der Vorteil für sie liegt. Ich nehme doch an, dass dieser Vorteil gerade nicht ihr neuer Ehemann sein soll?« Sie lächelte. »Und sie ist ehrgeizig.«
»Wie sollte mir das nützen, wenn sie mit diesem mächtigen jungen Prinzen verheiratet ist?«
»Wie lange wird er denn in der Lage sein, diese Macht für sich zu behalten?«, gab sie zurück. »Ich habe nie etwas anderes von ihm gehört, als dass er ruhig und nachdenklich ist. Du würdest niemals eine Tochter an einen Mann verschwenden, der sich Macht durch die Finger rinnen lässt. Ianthe wird sie für ihn bewahren – und für dich. Die Merida sitzen noch immer in Cunaxa, im Norden der Wüstengrenze. Würde Ianthe zulassen, dass sie auch nur einen Stiefelabsatz auf etwas stellen, das ihr gehört?«
»Sie hat aber recht akquisitorische Instinkte. Ich sehe nicht, wie ich sicher sein kann, sie bei der Stange zu halten.«
»Sie ist ehrgeizig und intelligent – und nicht dumm auf eine der vielen Arten, die mir bekannt sind. Natürlich kannst du ihr nicht trauen. Aber du kennst wenigstens ihre guten Eigenschaften. Kannst du dasselbe von Naydra behaupten, die kaum zwei zusammenhängende Sätze sprechen kann, oder von Pandsala, die niemals sagt, was sie denkt – wenn sie überhaupt denkt? Was nun Lenala angeht – wir wissen alle sehr wohl, dass sie nicht denken kann. Aber du kennst Ianthe. Und Ianthe weiß das.« Insgeheim dachte sie, dass es außerdem für sie wundervoll sein würde, dieses Mädchen loszuwerden, das der Hauptgrund dafür war, dass sie so überaus vorsichtig lebte.
Als hätte Roelstra ihre Gedanken gelesen, lächelte er und meinte: »Und für dich läge der Vorteil darin, dass sie aus der Felsenburg entfernt würde.«
Palila erwiderte sein Lächeln und verfluchte innerlich sein feines Gespür. »Ihre Ernennung wird deine Macht und Ehre noch vergrößern.«
»Dann könnte es tatsächlich Ianthe sein«, murmelte er nachdenklich.
Crigo gab einen leisen Laut von sich, und das Gesicht des jungen Prinzen erlosch in der Flamme. Mit gerunzelter Stirn wandte Roelstra sich ihm zu. »Beherrsche dich, Lichtläufer. Du bist für heute noch nicht am Ende.«
»Ich – ich bitte um Vergebung, Euer Gnaden …«, murmelte Crigo und hielt die Kerze jetzt mit beiden Händen fest.
»Ianthe ist tatsächlich ein kluges Mädchen«, wandte sich Roelstra an Palila. »Aber ich mache mir Sorgen, dass sie möglicherweise zu klug ist.«
»Sie wird über ihren Gatten herrschen, und du über sie«, antwortete Palila achselzuckend. »Du hast genügend Spione in Stronghold, Herr, um sie zu allen Zeiten wirkungsvoll unter Kontrolle zu halten. Sie muss eigentlich nichts weiter tun, als ein paar Söhne zu gebären – Enkelkinder, die du beschützen kannst.«
Roelstra lachte. »Wir müssen sichergehen, dass ihr dieser Gedanke nicht auch kommt – oder dass sie vor dem Rialla in Waes irgendetwas über ihre Zukunft erfährt. Ich werde dich dort brauchen, meine Liebe.«
»Ich stehe
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