Sonnenlaeufer
Personen zu entwickeln, die in Stronghold lebten.
»Ich habe veranlasst, dass Zimmer, Bäder und frische Kleider für euch vorbereitet werden. Das Grau der Trauer«, erinnerte er sie. »Ich musste eure Größen schätzen.«
Camigwen seufzte. »Das heißt, dass ich ständig über meinen Saum stolpern werde, während man bei Sioned die Knöchel sieht. Wenn wir nur nicht all unser Gepäck im Fluss verloren hätten!«
»Na, die Geschichte würde ich gern hören«, war Urivals Kommentar. »Aber erst einmal erzähle ich euch wohl besser etwas über die Burg, damit ihr euch nicht verlauft.« Sie schritten die Haupttreppe empor, ein Wunder aus seidig schimmerndem Holzgeländer und dickem, blauem Teppich. »Zuerst einmal ist sie riesig. Fünf Stockwerke über der Erde, eines unter der Erde, zur kalten Lagerung – oder jedenfalls so kalt, wie es hier nur eben möglich ist –, und der Turm der Ewigen Flamme ist so hoch, dass man angeblich an manchen Tagen bis zum Meer der Morgenröte sehen kann. Im Augenblick brennen dort die Feuer als Zeichen von Prinz Zehavas Hinscheiden.«
»Wir haben sie gesehen, als wir herritten«, warf Ostvel ein. »Wann findet denn das Ritual statt?«
»Morgen Abend. Ich weiß nicht, ob man von euch erwartet, dass ihr ihm beiwohnt.«
»Natürlich wird Sioned teilnehmen!«, ließ sich Camigwen vernehmen.
»Nur als eine der Faradhi’im , nichts weiter«, erklärte Sioned entschieden.
»Aber du wirst …«
»Nein!« Zum ersten Mal in ihrem Leben funkelte sie die Freundin wütend an, und Camis dunkle Haut rötete sich vor Überraschung und Entsetzen. »Ich bin nicht sicher , habe ich gesagt. Vielleicht nehme ich ihn, vielleicht aber auch nicht.« So also benahm sie sich nach nur einem kurzen Gespräch mit Rohan ihren lebenslangen Freunden gegenüber – was hatte er mit ihr gemacht? Sie begriff langsam, dass er tatsächlich ein gefährlicher Mann war.
Sie versuchte zu lächeln und ihre Bemerkung wiedergutzumachen. »Komm, wir sind alle müde, und ich wollte dich nicht so anfahren. Urival, erzähl uns bitte mehr über Stronghold, ja?«
Seine Augen wiesen einen ungewöhnlichen goldbraunen Ton auf. Riesig und schön lagen sie in seinem schmalen, dreieckigen Gesicht unter den dichten Brauen. Sie war noch nie fähig gewesen, irgendetwas vor diesen Augen zu verbergen, und auch jetzt machte der Ausdruck darin sie nervös. Doch er entschloss sich, ihr gefällig zu sein, und erklärte ihr die Räumlichkeiten und Wunder der Burg. Sie erreichten das zweite Stockwerk, schritten mehrere Gänge entlang und betraten den Nordflügel, wie Urival ihn nannte. Die deckenhohen Fenster an der Seite der Galerie standen offen, und eine Vielfalt von Düften aus dem Garten darunter erfüllte den sonnenwarmen Korridor.
»Dies alles ist Prinzessin Milars Werk«, erklärte Urival. »Die Gärten sind nichts weiter als nackter Fels und Sand. Sie hat sie geplant, hat die Wege entworfen und den kleinen Bach anlegen lassen. Auf der Seite des Gebäudes, wo die Familie lebte, gibt es sogar einen kleinen Springbrunnen.«
Sioned schaute auf die sauber angelegten Blumenbeete und Bäume hinab, durch die sich ein Bach und Pfade mit silbrigen Kieseln wanden wie die Fäden in einem Wandteppich. Hier und da entdeckte sie Steinbänke und kleine, weiß-blau gestrichene Brücken, die ein dünnes Rinnsal aus Wasser überspannten. Wasser war das kostbarste Element hier in der Wüste. Es bedeutete wahren Reichtum, so viel davon zu haben, dass man sich zum Vergnügen einen Bach und einen Springbrunnen leisten konnte. Vergnügen? Dort, wo sie herkam, hatte man Angst vor Überflutung. Es schoss ihr durch den Kopf, dass sie anfing wie jemand zu denken, der in diesem Land geboren war, und erneut machte sie sich Gedanken, welchen Einfluss Rohan auf sie hatte.
»Es ist schön«, seufzte Camigwen. »Wie die Hand eines Riesen mit einem kleinen Garten in der Mitte. Aber was machen sie, wenn sie den Himmel sehen wollen?«
»Oh, es ist hier nicht wie in der Schule der Göttin, wo wir im Winter so viel Nebel haben«, lächelte Urival. »Wenn es zwischen dir und dem weiten Himmel nichts anderes geben würde und kaum einmal einen hohen Felsen inmitten all des Sandes, dann würdest du dich in diesen Klippen sehr sicher fühlen.« Er strich sein dunkles Haar zurück, das langsam grau wurde, und lächelte. »Beeilt euch, Kinder. Euer Badewasser wird warm.«
»Warm?«, staunte Ostvel. »Nur ein Narr würde in einem Ofen wie diesem ein heißes Bad nehmen
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