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Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Titel: Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Till
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Großmutter mit Baseballmütze zum Beispiel. Oder Kelly mit langen Haaren. Unmöglich.
    Ich kam an einem dieser Straßenstände vorbei und hielt an. Vielleicht würde ich hier etwas Schönes für Kelly finden. Ich sah mir den Schmuck an.
    »Ich helfen?«, fragte der Verkäufer.
    Er war Pakistani oder Inder oder so was Ähnliches. Ich konnte das nie so richtig unterscheiden. Wozu auch? Er war ein Mensch, mehr brauchte ich nicht zu wissen.
    »Nein, danke«, sagte ich. »Ich gucke nur mal ein bisschen. Ich suche ein Geschenk für eine Freundin.«
    »Ah, für Freundin! Freundin gut! Kaufst du eine schöne Ring. Hier. Echt Silber. Nix teuer.«
    Ich überlegte kurz, ob ich das Missverständnis mit der Freundin aufklären sollte, ließ es aber sein. Es schmeichelte mir, dass dieser Mensch dachte, Kelly wäre meine richtige Freundin. Wenigstens einer, der es für möglich hielt. Ich weiß, manchmal habe ich sie wirklich nicht mehr alle.
    Ich dachte über seinen Geschenkvorschlag nach. Ein Ring. Ein Ring? Nein, ich konnte Kelly doch keinen Ring schenken. Wenn man Mädchen einen Ring schenkt, kommt das fast einem Heiratsantrag gleich. Ein Ring war zu auffällig. Wahrscheinlich hätte ich Kelly damit nur in Verlegenheit gebracht, und das wollte ich nun wirklich nicht. Eine einfache kurze Umarmung, das war es, was ich wollte. Nicht mehr und, um Gottes willen bitte, nicht weniger.
    »Nein«, sagte ich. »Ein Ring ist, glaube ich, nicht ganz das Richtige.«
    »Dann eine Armband vielleicht?«, schlug er vor. »Oder schöne Halskette. Hier, guck! Gut Qualität. Nix teuer.«
    »Nein, das ist alles nichts für sie.«
    »Hab ich noch Gürtel. Echt Leder. Und T-Shirt. Viele T-Shirt. Guck!«
    Ein T-Shirt. Das wäre nicht schlecht, dachte ich. Nicht irgendein T-Shirt natürlich. Keines mit einer blöden Band als Motiv oder einem schwachsinnigen Spruch. Guns N’ Roses. Depeche Mode. Bier schuf diesen wunderschönen Körper. Manche Leute schreckten wirklich vor nichts zurück, wenn es darum ging, sich lächerlich zu machen. Nein, es musste ein Motiv sein, das ausdrückte, wie viel Kelly mir bedeutete, ohne sie damit in Verlegenheit zu bringen. Und es musste einzigartig sein. Kelly sollte der einzige Mensch auf der Welt sein, der so ein T-Shirt besitzen würde, und sie sollte es mit Stolz tragen können, weil es etwas ganz Besonderes war. Zum Glück war die Herstellung eines einzelnen T-Shirts kein Problem. In jedem größeren Kaufhaus gab es mittlerweile einen dieser Apparate, mit denen man jedes beliebige Motiv auf ein T-Shirt zaubern konnte. Welches Motiv es werden würde, wusste ich noch nicht, aber wenigstens hatte ich jetzt eine Idee.
    Ich verabschiedete mich von dem Standmenschen, dem es anscheinend aufrichtig leidtat, dass er mir nicht helfen konnte, und schlenderte weiter die Zeil hinunter.
    Ich überlegte, was für ein Motiv Kelly wohl gefallen könnte. Nein, es durfte ihr nicht einfach nur gefallen; sie musste es lieben. Also, was liebte Kelly? Apfelkuchen. Kelly liebte Apfelkuchen über alles, aber bestimmt nicht auf einem T-Shirt. Genauso wenig konnte ich ihr warme Sommernächte auf ein T-Shirt drucken lassen, die sie fast noch mehr liebte als Apfelkuchen. Was dann? Plötzlich wusste ich es. Peter Pan. Das war es. Ich stand vor dem Disney-Laden und Peter Pan lebensgroß in Pappe vor mir.
    Natürlich, Peter Pan! Kellys Lieblingsgeschichte. Meine auch. Das Nimmerland. Der einzig wahre Ort für einen verlorenen Jungen wie mich. Erster Stern rechts und dann immer der Nase nach. Dort hatte es wenigstens noch Sinn gegen Piraten zu kämpfen. Wenn du hier einen wundervollen Gedanken hast und anfängst zu fliegen, schießen sie mit einer vollen Ladung Vernunft auf dich und du schlägst hart auf den Planken der Wirklichkeit auf. Verfluchte Piraten. Gebt mir ein Schwert und einen einzigen wundervollen Gedanken und ich mache Krokodilfutter aus allen verdammten Käpt’n Hooks dieser verkommenen Welt. Und gebt mir eine Wendy und nennt sie Kelly, und alles wird gut. Wendy! Genau das war es. Mein Motiv. Über ein Wendy-T-Shirt würde sich Kelly mit Sicherheit freuen und sie würde auch verstehen, was ich damit sagen wollte.
    Alles, was ich jetzt noch brauchte, war ein geeignetes Bild von Wendy als Vorlage, aber wozu stand ich schließlich vor einem Disney-Laden.
    Ich kaufte ein illustriertes Peter-Pan-Lesebuch und setzte mich vor dem Laden auf eine Bank, um in aller Ruhe ein Motiv auszusuchen. Groß war die Auswahl nicht. Wendy war nie allein

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