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Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Titel: Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Till
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beschissenen Stadt gab, der einem entfernten Planeten einigermaßen gleichkam. Es war ein Ort fern jeglicher Realität, ein Platz der Träume, an dem alles möglich wa r – selbst die Liebe.
    Der Ort, den ich meine, ist ein Kino. Jedes Kino in jeder Stadt, überall auf der Welt. Es konnte groß oder klein, modern oder völlig verkommen sein, egal. Sobald der Vorhang sich öffnete und der Film begann, war ich nicht mehr da. Der Junge David Sonnenschein verschwand für zwei Stunden in einer anderen Welt. Dort konnte ich alles und jeder sein. Sogar ein Mädchen oder ein Engel oder der Tod höchstpersönlich. Ich war Peter Pan in Hook . Siebenmal. Fünfmal war ich Todd Anderson im Club der toten Dichter und in Breakfast Club war ich das seltsame Mädchen mit den schwarzen Haaren, das übrigens scheußlich aussah, nachdem es von dieser blöden Schnöseltussi zurechtgemacht wurde. Molly Ringwald. Pretty in Pink . Schon da konnte ich nicht verstehen, was alle an ihr fanden. Trotzdem war ich in Pretty in Pink der Junge, in den sie verliebt war. Der, den Andrew McCarthy darstellte. Andrew McCarthy. Kein anderer Schauspieler bringt es fertig, einfach nur dazustehen und brillant auszusehen. Er steht irgendwo in der Gegend herum und sieht so verdammt gut dabei aus. Einmalig. Ob er das wohl geübt hat? Vielleicht gibt es in der Schauspielschule Unterricht im Einfach-nur-Rumstehen. Falls ja, dann muss Andrew McCarthy darin Klassenbester gewesen sein. In Andrew-McCarthy-Filmen war ich immer derjenige, den er darstellte. Genauso in James-Dean-Filmen, wobei es ja nur drei davon gibt. Einmal im Jahr, im Sommer, brachten manche Kinos diese ganzen alten Klassiker und gaben mir so die Möglichkeit, Jim Stark oder Cal Trask zu sein. Oder Holly Golightly in Frühstück bei Tiffany . Wundervolle Audrey Hepburn. Wenn sie noch leben würde, wäre sie das hübscheste Mädchen der Welt. In ihren Filmen ist sie es jedenfalls immer noch.
    Wer ich an diesem Tag sein würde, wusste ich noch nicht. Mir standen sechs Filme zur Auswahl. Die Entscheidung, welchen ich mir ansehen würde, fiel ganz von alleine; sie drängte sich mir buchstäblich auf. In Kino Nummer sechs lief ein Film namens True Romance . Mehr brauchte ich nicht zu wissen. True Romance , genau das, was ich brauchte. Ich kaufte mir eine Eintrittskarte und zwei große Dosen Tuborg und ging rein.
    Das Kino Nummer sechs war klein, sehr klein, kaum größer als ein Zugabteil. Die Sitze und die Wände und der Teppichboden waren orange. Bhagwan-orange. Hoffentlich haben sie wenigstens die Leinwand weiß gelassen, dachte ich und setzte mich in die letzte Reihe. Wegen der Paranoia. Ich war ganz allein in diesem winzigen Kino und ich betete, dass es so bleiben würde. Immer wenn ich ins Kino ging, setzten sich die unmöglichsten Leute vor, neben oder hinter mich. Entweder unterhielten sie sich den ganzen Film lang laut über irgendwelche anderen Filme oder sie kommentierten alles, was auf der Leinwand geschah. Manche brachten es sogar fertig, einem das Ende des Films noch während des Vorspanns zu verraten. Sie sagten einem ungefragt, wer der Mörder war oder wer am Ende noch lebte und ob es ein Happy End gab oder nicht. Solche Leute zog ich magisch an; sie setzten sich immer in meine unmittelbare Nähe. Man müsste sie knebeln dürfe n – mit ihrer eigenen Unterhose.
    Als das Licht ausging und die Werbung begann, war ich immer noch allein. Die Werbung war wie immer. Zigaretten, Autos, Eis am Stiel.
    Ich kannte mal ein Mädchen, das jeden Werbespot laut mitsang. Jedes Mal, wenn ich mit ihr im Kino war, und das war ziemlich oft, denn ich war in sie verliebt, sang sie jede beschissene Werbemelodie mit, was zur Folge hatte, dass ich mich nie traute ihr näherzukommen, weil es mir so verdammt peinlich war, neben einem Mädchen zu sitzen, das lauthals »Auf diese Steine können Sie bauen« trällerte. Aber auch das habe ich überlebt.
    Die Werbung war vorbei, und nachdem ich den Eisverkäufer noch beschwatzt hatte mir eine weitere Dose Tuborg zu bringen, fing der Film an. Der Genuss, ihn mir alleine ansehen zu dürfen, blieb mir allerdings verwehrt. Die Eingangstür öffnete sich und ein Pärchen kam herein. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, wohin sie sich setzten. Das ganze verdammte Zugabteil war frei und sie setzten sich, einen Sitz Abstand haltend, neben mich. Verfluchte Studenten. Jedenfalls sahen sie so aus. Germanistik oder Geschichte oder derartiger Müll. Irgendwas, womit sie später

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