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Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Titel: Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Till
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einmal kleine Kinder quälen durften. Die beiden kramten in einer großen Plastiktüte herum, die zwischen ihnen auf dem Boden stand. Der Typ zog eine Thermoskanne hervor und die Frau zwei Tassen samt Untertassen. Die Thermoskanne war Bhagwan-orange. Vielleicht wohnen sie hier, dachte ich. Studenten hatten doch immer Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche.
    Der Typ füllte die Tassen. Es roch nach Pfefferminze. Sie saßen tatsächlich im Kino und schlürften Pfefferminztee. Unglaublich. Fehlen nur noch die Kekse, dachte ich, aber selbst daran hatten sie gedacht. Eine Familienpackung Gebäckmischung wurde zwischen ihnen postiert und abwechselnd griffen sie hinein. Wenigstens redeten oder sangen sie nicht. Ich fing an mich auf den Film zu konzentrieren.
    »Was ist denn? Du weinst ja. Hab ich was falsch gemacht?«
    »Nein, es liegt nicht an dir.«
    »Was hast du?«
    »Ich muss dir was erzählen.«
    Das Mädchen, das dort weinend in der Nacht saß, hieß Alabama. Alabama. Das war so, als ob man hier ein Mädchen Rheinland-Pfalz nennen würde. Der Junge hieß Clarence und er hatte Geburtstag und eben noch mit Alabama geschlafen. Er hatte sie im Kino kennengelernt, als sie ihm Popcorn überschüttete. Danach waren sie zusammen Kuchen essen und er hat ihr seinen Arbeitsplatz, einen Comicladen, gezeigt, und dann haben sie miteinander geschlafen.
    Jetzt saß sie da und weinte und ich ahnte, warum.
    »Ich bin ein Callgirl«, schluchzte sie.
    »’ne Hure?«
    »Nein, ich bin ein Callgirl. Das ist ein Unterschied!«
    Sie erzählte Clarence, dass sein Boss sie bezahlt hätte, als Geburtstagsgeschenk, und ständig weinte sie dabei.
    »Ich bin seit vier Tagen ein Callgirl und du bist mein dritter Kunde. Ich will, dass du weißt, dass ich noch nicht völlig versaut bin. Und ich bin kein weißer Schrott, wie die in Florida sagen. Ich bin ein ehrliches Mädchen, und wenn ich jemanden richtig liebe, dann lieb ich ihn 100-prozentig. Dann bin ich 10 0 Prozent treu. Einem Einzigen.«
    »Du meinst, es gibt keinen anderen?«
    »Keinen anderen. Wenn du mich liebst, dann lieb ich dich auch und dann will ich auch keinen anderen.«
    Alabama. Spätestens jetzt war ich in sie verliebt, obwohl sie so verdammt blond und eigentlich nicht besonders hübsch war. Spätestens jetzt wusste ich auch, wer ich die nächsten anderthalb Stunden sein würde. Clarence, der Junge, den sie liebte.
    »Clarence«, sagte sie zu mir, »irgendwie traue ich mich kaum, dir das zu sagen, nachdem wir uns grad mal eine Nacht kennen. Außerdem war ich ein Callgirl. Aber ich denke, dass ich dich liebe.«
    »Warte ’ne Sekunde. Sekunde! Ich versuch krampfhaft nicht den Überblick zu verlieren. Ich meine, du hast gerade gesagt, du liebst mich, und wenn ich jetzt auch sagen würde, dass ich dich liebe, und du mich nur belogen hast, dann würd ich garantiert was Unüberlegtes tun.«
    »Aber das ist keine Lüge. Und ich schwör dir, von diesem Moment an werd ich dich nie wieder belügen.«
    Sensationell. Einmalig schön. Schon jetzt wusste ich, dass ich diesen Film nicht zum letzten Mal sah. Allein wegen dieser Szene. Schade, dass man im Kino nicht zurückspulen konnte. Das sollte mal jemand erfinden. Wahrscheinlich würde ich dann für jeden Film fünf Stunden brauchen.
    Alabama und Clarence heiraten natürlich kurze Zeit später. Von da an war es kein normaler Film mehr. Von da an war er brillant.
    »Ich hab ihn getötet«, sagte Clarence zehn Minuten später und damit hatte er wirklich verdammt Recht.
    Er hatte gerade Alabamas ehemaligem Zuhälter die Eier weggeballert. Mit einem Trommelrevolver. Elvis hatte ihn dazu ermutigt. Tatsache. Ein imaginärer Elvis Presley stand plötzlich hinter ihm im Bad und sagte, er hätte nichts zu befürchten, wenn er so ein Schwein von einem Zuhälter aus der Welt schaffen würde. Gesagt, getan. Jetzt stand er vor Alabama und sagte: »Ich hab ihn getötet«, so als ob er gerade vom Einkaufen zurückkäme und die Milch vergessen hätte.
    »Ich sterbe vor Hunger«, fuhr er fort. »Willst du auch ’n Hamburger?«
    »Ist das ein Witz?«, fragte Alabama.
    »Is’ kein Witz. Das ist vermutlich der beste Hamburger, den ich in meinem Leben gegessen hab. So gut hat mir ’n Hamburger noch nie geschmeckt. Komm schon, iss was! Dann geht’s dir besser.«
    Alabama fing an zu weinen.
    »Warum, zum Teufel, weinst du, hä? Komm schon, dieses Schwein ist doch keine Träne wert. Wär’s dir lieber gewesen, wenn er mich erwischt hätte, hä? Wär dir das

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