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Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Titel: Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Till
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der Lieder, zu denen sie tanzte, denn Striptease sei ja immerhin so etwas wie eine Kunstform. Wenn sie gerade einmal nicht redete, nippte sie an ihrem Piccolo. Sie schien mich zu mögen, denn sonst hätte sie die kleine Flasche Sekt wahrscheinlich abgekippt und das Gespräch schnell beendet. So dauerte es über eine halbe Stunde, bis sie aufstand und sagte, sie müsse wieder tanzen, sonst bekäme sie Ärger mit ihrer Chefin. Sie drückte mir noch einen Kuss auf die Backe und sagte, ich wäre niedlich, und ich beschloss in Zukunft mein gesamtes Geld für Piccolos mit Jacqueline zu sparen.
    Als ich wieder an meinen Platz kam, kicherten die Jungs und klopften mir auf die Schulter und zwinkerten wissend mit den Augen. Sie wussten nichts. Jacqueline betrat die Drehscheibe, beugte sich zu mir herunter, kniff mir in die Backe und sagte: »Du warst großartig, Darling!«
    Den Jungs fiel alles aus dem Gesicht. Selbst mein Cousin, der ja schließlich am besten wusste, wofür er bezahlt hatte, starrte mich ehrfürchtig an. Ausnahmsweise wurde ich einmal nicht rot und die Jungs glauben heute noch, dass ich es mit Jacqueline gemacht habe.
    Jacqueline tanzte wieder, Fever von Elvis, und wieder tat sie so, als tanzte sie nur für mich, und die Jungs wussten nicht genau, wen sie eigentlich anstarren sollten, das wunderschöne Mädchen mit dem sensationellen Körper oder den Jungen, der sich ihrer Vorstellung nach kurz zuvor noch mehr als optisch an ihr erfreuen durfte. Nach Jacqueline kam wieder die Cellulitis-Geisha und wir brachen auf. Jacqueline zwinkerte mir zum Abschied noch einmal zu und ich schwor mir, mein nächstes Taschengeld an sie zu verschwenden.

siebzehn
    Damals wurden wir durch eine kleine Seitentür hinausgelassen und fanden uns in de r … verflucht, in welcher Straße war das Lido noch gleich gewesen? Da stand ich nun in diesem verdammten Bahnhofsviertel und wollte mit Jacqueline einen Piccolo trinken und wusste nicht mehr, wo es war. Jacqueline würde die Traurigkeit und Kelly einfach wegtanzen. Nothing compares to you und eine halbe Stunde mit ihr im Separee würden helfen, bestimmt. Natürlich würde sie immer noch dort jobben. Es war ja erst ein Jahr her und so ein Studium braucht schließlich seine Zeit. Dass sie nicht mehr dort sein könnte, machte mir keine Sorgen, aber wo verflixt war dieses »dort« bloß gewesen? Moselstraße? Taunusstraße? Kaiserstraße? Es war an einer Ecke, erinnerte ich mich. An einer Ecke auf der rechten Straßenseite. Oder war es doch die linke? Scheiße. Ich torkelte alle Ecken ab und eine kam mir irgendwie vertraut vor. Hier muss es gewesen sein, dachte ich. Aber der Laden dort hieß nicht Lido . Er hieß Kreuz-Ass oder Karo-Neun oder so ähnlich. Sie mussten es umbenannt haben. Vielleicht war der Name Lido rechtlich geschützt und sie hatten es umbenennen müssen. Sicherlich war es so. Derselbe Laden, anderer Name. Hauptsache, Jacqueline war noch da.
    Die Gestalt an der Kasse nahm mir zehn Mark ab und drückte mir dafür einen Getränkebon in die Hand. Er öffnete mir die Tür und ich ging hinein. Scheiße, es war der falsche Laden. Kein Rot, keine Drehscheibe. Alles war in Blau und Chrom gehalten und es gab eine richtige Bühne mit einem kleinen Laufsteg. Die Plätze direkt um den Laufsteg herum waren alle besetzt von seltsamen Männern in Anzügen. Vielleicht hielten sie hier Geschäftsbesprechungen über Millionenverträge ab. Oder sie waren von der Mafia. Ich setzte mich in die zweite Reihe vor der Bühne und tauschte meinen Getränkebon gegen ein Bier ein. Mehr war dafür auch nicht zu bekommen.
    »Ist Jacqueline heute Abend zufällig hier?«, fragte ich die hässliche Bedienung mit dem faltigen Dekolleté.
    »Wer?«
    »Jacqueline. So cirka zwanzig oder einundzwanzig. Schwarze Haare, hübsches Ge s …«
    »Weißte, Kleiner«, unterbrach sie mich. »Ich kenn so viele Jacquelines und Yvonnes und Babettes, da kommt kein französischer Briefträger mit. Ich hieß sogar selbst mal Jacqueline, also frag mich was Leichteres. Alles klar, Kleiner?«
    »Klar«, sagte ich und war froh, als sie wieder ging.
    Das erste Mädchen betrat die Bühne und ich steckte mir eine Zigarette an und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Sie war zwar nicht Jacqueline, aber trotzdem hübsch anzusehen. Nichts zum Verlieben, aber damit hatte ich ja sowieso nichts mehr am Hut. Verdammt! Ich wollte doch nicht mehr an Kelly denken! Ich versuchte mich auf das Geschehen vor mir zu konzentrieren. Ja, sie sah

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