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Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Titel: Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Till
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ganz gut aus, aber tanzen konnte sie nicht. Sie bewegte sich zu Marilyn Monroes I wanna be loved by you wie ein festgefrorener Pinguin im Packeis. Es sah so lächerlich aus, wie sie mit den Armen wedelte, als verscheuchte sie Moskitos. Ausziehen konnte sie sich wenigstens, was für den Rest des geifernden Publikums schon mehr als genug war. Ständig liefen irgendwelche Kerle mit hervorstehenden Augen und Hosenschlitzen an mir vorbei in Richtung Toilette, und wenn sie wiederkamen, hatten sie rote Backen und frisch gewaschene Hände. Widerlich. Auf diese Toilette würde ich nicht gehen. Eher machte ich mir in die Hose und kippte ein Bier zur Tarnung darüber.
    Das nächste Mädchen kam und, bei Gott, es konnte tanzen. Sie hätte sich nicht einmal ausziehen müssen und wäre ein Knaller gewesen. Sie trug einen schwarzen Zylinder und tanzte zu irgendeiner uralten Fred-Astaire-Nummer. Sie konnte richtig steppen. Nicht nur ein bisschen oder so, nein, sie war wirklich gut, und das mit meterhohen Stöckelschuhen. Es war unglaublich. Sie steppte und schwang ihre tollen Beine und zog sich nebenbei noch aus. Und wie hoch sie ihre Beine schwingen konnte! Hoch und höher und noch höher und so hoch, dass sich ein Schuh von ihrem Fuß löste und durch die Luft flog. Ich sah ihn genau kommen; er flog direkt auf mich zu. Wie in Zeitlupe sah ich ihn sich langsam in der Luft um sich selbst drehen. Ich saß da, staunend, mit offenem Mund und ließ das wohl Vermeidliche einfach geschehen. Ich hätte mich nur ducken müssen, nur ein bisschen. Die Zeit zum Reagieren war mehr als ausreichend, aber ich saß starr da und wartete, bis mir der Absatz an die Stirn knallte. Ein Cruise-Missile aus schwarzem Lack landete mitten in meinem Gesicht und riss einen Krater in meine Stirn. So kam es mir jedenfalls vor. Es tat höllisch weh und ich war sicher, ein pfenniggroßes Loch in meinem Kopf zu haben, aus dem eimerweise Blut lief. Ich wollte schreien, aber da waren all diese seltsamen Männer in Anzügen, die mich anstarrten, als hätte ich drei Köpfe. Im nächsten Augenblick begannen sie zu johlen und Beifall zu klatschen und mir blieb nichts anderes übrig, als zu lächeln und so zu tun, als sei es eine Ehre und eine Leichtigkeit gewesen, dieses Geschoss mit meinem Gesicht zu bremsen.
    Der Schmerz verging schnell, und wie ich enttäuscht feststellte, blutete ich kein bisschen. Immerhin bekam ich für meinen couragierten Einsatz ein Bier aufs Haus. Ein gerechter Lohn für einen kurzen Schmerz. Schmerz ist das einzig echte Gefühl, das ein Mensch haben kann, sagte Neuroth immer. Verdammt! Ich wollte doch wirklich nicht mehr an Kelly denken!
    Ich trank mein Gratisbier schnell aus und verließ diesen gefährlichen Ort, an dem sie mit 36er Lackschuhen auf einen schossen. Ein Bier aufs Haus war wirklich genug. Ein zweites hätte mein Kopf nicht überlebt.

achtzehn
    Warum nur wurde ich Kelly nicht los? Warum war ich immer noch traurig? Der Tequila zeigte nicht die gewünschte Wirkung und ich wusste nicht, was sonst noch helfen konnte. Ich hätte es mit diesem Ecstasy-Mist versuchen können. Alle paar Meter bot es mir irgendein Arschloch an, aber ich ging einfach weiter, ohne sie zu beachten. Wenn ich Ecstasy nehmen würde, hätte diese Scheißstadt gewonnen und die Schande käme über mich. Gegen Kelly zu verlieren und gegen die Traurigkeit war annehmbar, nicht aber gegen dieses beschissene Frankfurt. Es sah ganz so aus, als ob Kelly und die Traurigkeit gewinnen würden, aber noch gab ich mich nicht geschlagen. Mir würde schon etwas einfallen.
    Den Gedanken, der sich mir allein durch meine Umgebung aufdrängte, zog ich nur zögernd in Betracht. Könnte purer unpersönlicher Sex mit einem fremden Mädchen die Traurigkeit und Kelly besiegen? Ich hatte große Zweifel. War das nicht zu einfach, zu leicht, zu billig? Obwohl, so einfach war es gar nicht. Ich hatte es schon einmal versucht, damals mit Bender. Das war noch vor Tequila und der Ente.
    Ich war gerade siebzehn und hatte es satt, immer nur die Angebergeschichten anderer Jungs hören zu müssen. Wenn man ihren Geschichten Glauben schenkte, und das tat ich damals noch, lag man als 17-jährige Jungfrau um mindestens drei Jahre zurück. Sie hatten es alle schon hundertmal gemacht und ließen einen immer wieder spüren, dass man als Jungfrau eine Null war. Meine sexuellen Erfahrungen beschränkten sich immer noch auf die Reizwäsche-Rubrik des Quelle-Kataloges und drei auf dem Sperrmüll gefundene

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