Sonnenstürme
Hanse den vorgesehenen Siedlungsbereich untersucht. Doch Orli wusste, dass es hunderte von Winkeln und Spalten gab, die sich noch niemand angesehen hatte.
Zwar war ihr Vater derjenige, der hoffte, eines Tages verborgene Schätze zu finden, aber ein Teil seiner unerschöpflichen Phantasie hatte auf Orli abgefärbt. Sie stellte sich vor, dass die Klikiss während ihres letzten Kampfes in dieser Schlucht vielleicht irgendwo Aufzeichnungen versteckt und kostbare Dinge vergraben hatten.
Wenn sie auf Entdeckungstour ging, ließ sie ihre Pelzgrille im Käfig. Ihr Vater hatte seine Schicht in der Empfangsstation des Kommunikationsturms begonnen, wo er sich vermutlich die Zeit damit vertrieb, an den Entwürfen neuer Erfindungen zu arbeiten…
Orli ging dorthin, wo die Schlucht schmaler wurde und die glasierten granitenen Wände steil aufragten. Im Lauf von Jahrtausenden hatte Regen Mineralien aus dem Gestein gewaschen, und dadurch waren Ansammlungen von Alaunkristallen entstanden, wie aus einzelnen Schichten aufgebaute Glaswürfel. Sie funkelten und glitzerten an den Schluchtwänden. In ihrem ersten Bericht hatte Margaret Colicos diesen Ort als »der Berg, der kristallene Tränen weint« beschrieben. Margaret hatte sich damals gefragt, ob die Anordnung der Kristalle auf eine Botschaft der Klikiss hinwies oder gar eine Art Schaltkreis bildete. Aber die Ergebnisse der Analysen machten deutlich, dass die Kristalle lange Zeit nach dem verheerenden Angriff gewachsen waren, der das Gestein glasiert hatte.
Als Orli die Kristalle an den Schluchtwänden betrachtete, sah sie gute Kletterhilfen in ihnen, eine Art Trittleiter, die sie zu den Rissen und Spalten weiter oben bringen konnte.
Sie begann zu kletterten, trat auf die Kristalle, griff mit den Händen nach den Vorsprüngen und zog sich hoch. Orli lächelte bei dem Gedanken, dass sie zu Orten vorstieß, die von den archäologischen Expeditionen nicht verzeichnet worden waren. Margaret und Louis Colicos waren alte Leute, ebenso wie Hud Steinman. Etwas so Riskantes und Anstrengendes hätten sie bestimmt nicht gewagt.
Auf halbem Weg nach oben hielt sie inne, blickte nach unten und begriff dann, dass dies keine besonders gute Idee gewesen war. Der Schluchtboden lag tief unter ihr. Die Wand ragte weiterhin steil auf, und die Kristallbrocken erschienen ihr plötzlich kleiner und brüchiger. Wenn sie losließ oder in Ohnmacht fiel… Der Sturz in die Tiefe würde ihren sicheren Tod bedeuten.
Orli schluckte und beschloss, nach oben zu sehen und den Weg fortzusetzen. Eine schwarze vertikale Kerbe, halb verborgen in einer Falte des Gesteins, weckte ihre Aufmerksamkeit. Vielleicht war es einmal eine große Höhlenöffnung gewesen, aber der Granit hatte sich vor Jahrtausenden in enormer Hitze verflüssigt und war dann wieder erstarrt. Auf diese Weise war eine Art Vorhang entstanden, hinter dem sich der Rest der Höhlenöffnung verbarg.
Orli war inzwischen des Kletterns müde geworden. Als sie die richtige Höhe erreichte, fand sie, wonach sie suchte. Sie näherte sich der Öffnung, und dabei rutschte der eine Fuß an einem glatten, schiefen Alaunblock ab. Mit beiden Händen hielt sich Orli an einem scharfkantigen Granitvorsprung fest, atmete mehrmals tief durch und zog sich dann in die dunkle Höhle.
Viele Räume in der Klikiss-Stadt waren halb eingestürzt und dunkel, weshalb die Kolonisten kleine Lampen bei sich führten. Orli kroch nach vorn, bis sie eine Kammer erreichte, griff dann in die Tasche. Sie hatte jetzt beide Hände frei und daher keine Mühe, die Lampe einzuschalten. Licht strich über die Höhlenwände.
Hier war der Granit rau und nicht wie draußen glasiert, aber Orli sah auf den ersten Blick, dass die Höhle, in der sie sich befand, unmöglich natürlichen Ursprungs sein konnte – dafür waren die Wände viel zu symmetrisch. Sie stellte sich vor, wie viele Arbeiter – Klikiss? – einen runden, fünf Meter durchmessenden Raum aus dem Fels meißelten. Aber warum so weit oben in der Schluchtwand? Sie leuchtete zur Decke hoch, ließ das Licht dann über die Wände streichen und hielt dabei nach Tunneln oder irgendeinem Ausgang Ausschau. Doch im Schein der Lampe erschien nur die netzartige Klikiss-Schrift, Hieroglyphen und Gleichungen, die spiralförmig von einem zentralen Punkt ausgingen.
Schließlich leuchtete Orli auf den Boden – und schnappte nach Luft.
Die letzten von Margaret Colicos übermittelten Berichte enthielten Bilder von einem mumifizierten
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