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Sonnensturm

Sonnensturm

Titel: Sonnensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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Tageslichts schien noch auf den
Leib des Planeten. Der Mond war auch im Bild; er schwamm im
riesigen Schatten des Schilds. Just in diesem Moment war der Mond
auf seiner Umlaufbahn in die Nähe der Erde-Sonne-Linie
getragen worden – in Erwartung der totalen
Sonnenfinsternis, die morgen eintreten würde.
    »Mein Gott«, sagte Michail von Clavius. »Was
haben wir getan?«
    Bud wusste, was er meinte. Die Aufwallung des Stolzes, die er
in diesem Moment erwartet hatte, als der Schild endlich vollendet
und positioniert war, der Schlusspunkt jahrelanger heroischer
Arbeit, wurde schnell durch die Bedeutung dieser riesigen
himmlischen Choreografie verdrängt. »Es wird wirklich
geschehen, nicht wahr?«
    »Leider ja«, sagte Michail traurig. »Und wir
kleines Häuflein sind an vorderster Front.«
    »Aber wenigstens haben wir einander«, sagte Helena
ein paar Minuten später auf dem Mars. »Es ist Zeit
für ein Gebet, meinen Sie nicht auch? Oder für ein
Lied. Es ist eine Schande, dass noch keine anständigen
Kirchenlieder für Raumfahrer geschrieben wurden.«
    »Mich dürfen Sie nicht fragen«, sagte
Michail. »Ich bin orthodox.«
    »Ich wüsste eins«, sagte Bud ruhig.
    Seine Worte hatten Helena nicht vor ihrer Antwort zu erreichen
vermocht. Aber das Lied, das sie unmelodisch anstimmte, war genau
das, an das er auch gedacht hatte.
    Es war der Seefahrer-Choral:
     
    Ewiger Vater, Deine Stärke errettet
uns…
     
    Bud stimmte ein und versuchte sich mit gerunzelter Stirn an
die Worte zu erinnern. Dann hörte er die Stimmen von Rose
Delea und anderen auf dem Schild. Schließlich sang sogar
Michail, vermutlich durch Thales veranlasst. Nur Eugene Mangles
schaute verwirrt und blieb still.
     
    Natürlich war dieser interplanetare Chor bei näherer
Überlegung absurd. Professor Einstein und seine
Lichtgeschwindigkeitsverzögerung verdarben ihnen
nämlich den Spaß: Als Helena hörte, wie die
anderen in ihr Lied einstimmten, hatte sie die letzte Strophe
schon beendet. Doch irgendwie kam es darauf gar nicht an, und Bud
sang aus voller Kehle mit; in einem Chor, dessen Stimmen
über Dutzende Millionen Kilometer verstreut waren.
     
    Doch selbst während er sang, war er sich der stummen
Präsenz von Athene um sich herum bewusst – eine
Präsenz, die sich durch keinen Atemzug verriet.

 
{ 36 }
SONNENUNTERGANG (III)
     
     
    An diesem letzten Abend war Siobhan McGorran in ihrem kleinen
Euronadel-Büro. Sie stapfte ruhelos im Raum umher und
spähte aufs verdunkelte London hinaus.
    Unter der geschlossenen Kuppel lag die Stadt nun gleich in
zweifacher Nacht. Doch die Straßen waren hell erleuchtet.
Sie fragte sich, was sie wohl hören würde, wenn die
Geräusche nicht durch die schalldichten Fenster ausgeblendet
worden wären: Gelächter, Schreie, Autohupen, Sirenen,
das Klirren von zerbrochenem Glas? Es war eine fiebrige Nacht,
das stand zumindest fest; die wenigsten Menschen würden
heute Schlaf finden.
    Toby Pitt stürzte herein. Er trug ein kleines Papptablett
mit zwei großen Plastikbechern Kaffee und einer Hand voll
von Keksen.
    Siobhan nahm den Kaffee dankbar an. »Toby, Sie sind ein
unbesungener Held.«
    Er setzte sich und nahm einen Keks. »Wenn mein einziger
Beitrag zur Krisenbewältigung bisher darin bestanden hat,
die Königliche Astronomin mit Keksen zu versorgen, werde ich
das auch bis zum bitteren Ende tun – selbst wenn ich
Vollkornkekse aus meinen eigenen Beständen hereinschmuggeln
muss. Knausrige Kameraden, diese Eurokraten. Prost!«
    Toby wirkte so ruhig und unerschütterlich wie eh und je.
Er zeigte eine besondere britische Charakterstärke, sagte
sie sich: Kaffee und Kekse sogar im Angesicht des Weltuntergangs.
Und dann wurde sie sich bewusst, dass er ihr noch nie etwas
über sein Privatleben erzählt hatte.
    »Wären Sie jetzt nicht lieber woanders, Toby? Gibt
es denn niemanden, bei dem Sie nun sein
möchten…?«
    Er zuckte die Achseln. »Mein Partner ist mit seiner
Familie in Birmingham. Er ist dort genauso sicher, wie ich es
hier bin – oder auch nicht.«
    Siobhan stutzte: Er? Noch etwas, das sie über Toby
nicht gewusst hatte. »Sie haben keine Familie?«
    »Eine Schwester in Australien. Sie ist mit ihren Kindern
unter der Kuppel von Perth. Größere Sicherheit
vermochte ich für sie nicht zu arrangieren. Ansonsten sind
wir leider Waisen. Aber die Arbeit meiner Schwester wäre
für Sie sicher interessant. Sie ist nämlich ein
Weltraumingenieur.

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