Sonnensturm
hätte.
Doch dieses kognitive Wunder wurde in den Speicher einer Bombe
heruntergeladen.
Die Bombe wurde der Exstirpator genannt. Sie war ein Produkt
der letzten Aufwallung des Militarismus, die der atomaren
Vernichtung von Lahore im Jahr 2020 vorangegangen war – dem
kathartischen Ereignis, das besonnene Leute zu verhindern
versucht hatten.
Der Exstirpator war vielleicht die ultimative Defensivwaffe.
Es handelte sich dabei um eine Kernwaffe – eine
Gigatonnen-Bombe, eine der stärksten, die jemals gebaut
worden waren. Die Bombe war jedoch von einer mit Stacheln
bewehrten Schale umschlossen, sodass sie wie ein riesiger Seeigel
aussah. Die Theorie lautete, dass bei der Zündung der Bombe
jeder dieser Stacheln für die paar Mikrosekunden, bevor er
verdampfte, wie ein Laser wirkte. Dadurch würde die enorme
Energie der Atombombe in gerichtete Röntgenstrahlenpulse
umgewandelt -Strahlen, die stark genug waren, um feindliche
Raketen über dem halben Planeten zu zerstören.
Das war natürlich der reine Wahnsinn, das Produkt eines
jahrzehntelangen pathologischen Denkens – und schon damals
hatten die wenigsten Kriegsspiel-Szenarios in Betracht gezogen,
dass eine feindliche Macht ihr ganzes Waffenarsenal ins All
schicken würde, wo man es mit einem einzigen Treffer
ausschalten konnte. Dennoch hatte man in geldgierigen
Waffenlaboratorien die Technologie auf dem Papier entwickelt und
sogar ein paar Prototypen gebaut.
Später, in friedlicheren Zeiten, hatte der Exstirpator
dann ein neues Einsatzgebiet gefunden. Ein Prototyp war aus dem
Lager hervorgeholt und leicht modifiziert – seine Laser
würden nun Funkwellen anstatt Röntgenstrahlen
emittieren – an diesen Ort zwischen Erde und Mars
geschleudert worden; weit genug entfernt, um menschliche
Instrumente nicht zu beeinträchtigen.
Und er hätte explodieren sollen. Den starken
omnidirektionalen Radioblitz, den er verursachen würde,
hätte man noch in der Entfernung der näheren Sterne
registrieren können.
Der ursprüngliche Zweck des Exstirpators war nämlich
ein wissenschaftlicher gewesen. Diese gigantische Detonation bot
die Chance einer vollständigen Kartierung des Sonnensystems,
wodurch das Wissen der Menschheit über das Sonnensystem sich
schlagartig multipliziert hätte. Wegen des aufziehenden
Sonnensturms war das Exstirpator-Programm beschleunigt und auf
neue Ziele ausgerichtet worden.
Der nun in der Bombe enthaltene codierte Radioimpuls enthielt
eine umfangreiche Bibliothek mit Informationen über das
Sonnensystem, über die Erde, ihre Biosphäre, die
Menschheit, menschliche Kunst und Wissenschaft, Hoffnungen und
Träume. Das war das Ergebnis eines internationalen Programms
namens ›Erdpost‹; eine von mehreren Anstrengungen,
im letzten Atemzug wenigstens etwas von der Menschheit zu
bewahren, falls es zum Schlimmsten kam. Ein paar Leute, darunter
auch Bisesa Dutt, hatten indes den Sinn dieses Unternehmens
bezweifelt, dem Universum die Anwesenheit der Menschheit
mitzuteilen. Doch sie waren überstimmt worden.
Das andere wichtige Ziel des Exstirpators bestand in der
Erfüllung einer gesetzlichen und moralischen Pflicht: Es
mussten alle Anstrengungen unternommen werden, das Leben aller
Juristischen Personen zu bewahren – ob Menschen oder andere
Geschöpfe. Darüber hinaus würde die Erdpost auch
codierte Kopien der Persönlichkeiten der drei
größten elektronischen Entitäten des Planeten
umfassen: Aristoteles, Thales und Athene. Auf diese Art bestand
zumindest eine Chance – wenn auch eine geringe –,
dass ihre Identitäten eines Tages abgerufen und wieder
belebt wurden. Und was konnte sonst noch getan werden? Man konnte
eine Schimpansenkolonie in einer Stadtkuppel unterbringen; eine
von einem planetenweiten Datennetz abhängige Entität
war jedoch schwieriger zu beschützen – aber es gab
eine Fürsorgepflicht.
»Das muss man den Menschen hoch anrechnen«, sagte
Aristoteles, »dass sie noch im Angesicht des Untergangs die
Wissenschaft befördern.«
»Wofür wir dankbar sein sollten, denn sonst
wären wir heute überhaupt nicht hier«, sagte
Thales und bestätigte damit nur, was die anderen bereits
wussten.
Aristoteles war um Athene besorgt.
»Mir geht es gut«, versicherte sie. »Vor
allem deshalb, weil ich Oberst Tooke nicht mehr anlügen
muss.«
Die anderen verstanden. Die drei waren nämlich weitaus
intelligenter als jeder Mensch und hatten Weiterungen des
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