Sonnensturm
stehen würde.
Fürs Erste waren die Ärzte und ihre robotischen
Helfer jedenfalls so bereit wie irgend möglich –
bereit für alle Unfälle, die, wie man wusste,
unweigerlich eintreten würden; mehr vermochte man nicht zu
tun. Es würde genügen müssen.
Bud machte weiter. »Wetter für Flug.«
Michail Martynovs belegte Stimme drang nach der üblichen
mehrsekündigen Verzögerung an Buds Ohr. »Hier bin
ich, Oberst.« Bud sah Michails düsteres Gesicht mit
Eugene Mangles im Vordergrund in ihrem Labor auf der
Clavius-Basis. ›Wetter‹ bedeutete Sonnenwetter;
Michail stand an der Spitze einer Pyramide von Wissenschaftlern
auf der Erde, dem Mond und dem Schild, die das Verhalten der
Sonne in allen Phasen des Sturms beobachteten. »Im Moment
verhält die Sonne sich gemäß den
Vorhersagen«, sagte Michail. »Zum Besseren oder
Schlechteren.«
Eugene Mangles murmelte ihm etwas zu.
»Was war das?«, blaffte Bud.
»Eugene erinnert mich daran, dass der
Röntgenstrahl-Fluss etwas höher ist, als wir
vorhergesagt hatten. Noch innerhalb der Fehlertoleranz, aber die
Tendenz zeigt nach oben. Natürlich müssen wir mit
Abweichungen rechnen; unter dem Aspekt der Energieabgabe des
Ereignisses ist das Röntgenstrahlen-Spektrum jedoch nur ein
Nebeneffekt, und wir betrachten lediglich Abweichungen zweiter
Ordnung von den Prognosen…«
Er redete unverdrossen weiter. Bud versuchte, sich in Geduld
zu üben. Martynov, der ständig das Rufzeichen-Protokoll
ignorierte und wie ein typischer Wissenschaftler dazu neigte,
langatmige Vorträge zu halten, wurde vielleicht noch zu
einer Belastung, wenn der Druck weiter stieg. »OK, Michail.
Lassen Sie mich wissen, wenn…«
Jedoch überschnitten seine Worte sich nun mit einer neuen
zeitversetzten Nachricht von Michail. »Ich dachte, Sie
möchten sich vielleicht…« Michail zögerte,
als Buds Satzfragment ihn erreichte. »Sie möchten sich
vielleicht anschauen, was vorgeht.«
»Wo?«
»Auf der Sonne.«
Sein düsteres Gesicht wich einer
Falschfarben-Darstellung, die von einer Reihe von Satelliten und
den eigenen Monitoren des Schilds erstellt worden war. Es war die
Sonne – aber nicht mehr die Sonne, wie die Menschen sie
noch vor ein paar Stunden gekannt hatten. Ihr Licht war nicht
mehr gelblich, sondern ein blauweißes Gleißen, und
riesige glühende Wolken stoben über die
Oberfläche. Vom Rand der Scheibe zuckten Flammen in den
Weltraum, die dann vom chaotischen Magnetfeld der Sonne zu
Bögen und Schleifen verzerrt wurden. Und im Mittelpunkt der
Sonne stand ein greller Lichtfleck. Der durch die Entfernung
perspektivisch verkürzte Energiefluss war der
mächtigste von allen und direkt auf die Erde gerichtet.
»Mein Gott.«
Buds Kopf flog herum. »Wer war das?«
»’tschuldigung, Bud… äh… Flug.
Flug, hier ist Comms.« Eine fähige junge Frau namens
Bella Fingal, die Bud mit der Leitung der gesamten Kommunikation
beauftragt hatte. »Es tut mir Leid«, sagte sie.
»Aber – schauen Sie einmal auf die
Erde.«
Alle Gesichter wandten sich der großen Softscreen
zu.
An L1 war der Schild immer über dem Subsolarpunkt
positioniert, dem Punkt auf der Erde, wo die Sonne direkt
über ihr stand. In diesem Moment war dieser Punkt über
dem westlichen Pazifik. Und über dem Meer verdichteten sich
Wolken zu einer Spiralform: Ein massives Sturmsystem braute sich
zusammen. Bald würde dieser Punkt nach Westen wandern und
über das mit Menschen überfüllte Festland
hinwegziehen.
»Es hat begonnen«, murmelte Rose Delea.
»Es wäre verdammt noch mal viel schlimmer, wenn wir
nicht wären«, sagte Bud schroff. »Vergessen Sie
das nie. Und bewahren Sie Haltung.«
»Wir werden das zusammen durchstehen, Bud.«
Es war Athenes Stimme, die sanft an sein Ohr drang. Bud
schaute sich um; er war sich nicht sicher, ob sie alle
angesprochen hatte.
Zum Teufel. »OK«, sagte er. »Wer ist der
Nächste in der Schleife?«
03:25 (Londoner Zeit)
Auf dem Mars steuerte Helena geduldig ihren Beagle und
wartete darauf, dass die Show begann. In der Raumfahrt
gewöhnte man sich ans Warten.
Im letzten Moment gestattete sie sich noch einen Anflug von
Hoffnung, dass die Analytiker sich vielleicht doch geirrt hatten,
dass alles nur ein grausamer falscher Alarm wäre. Doch dann
– wie aufs Stichwort – erblühte die Sonne.
Die Fenster des Rovers wurden sofort verdunkelt, um ihre Augen
zu schützen, und das Fahrzeug blieb stehen. Sie
Weitere Kostenlose Bücher