Sonnensturm
und
der Besucher verschwand.
Bisesa zwang sich, sich aufzusetzen. Hatte es sich etwas
abgekühlt? Doch auch einen halben Meter überm Boden war
die Luft stickig und feucht.
Bisesa hatte längst jedes Zeitgefühl verloren,
obwohl die alte Standuhr während der ganzen Krise geduldig
getickt hatte. Es war ungefähr siebzehn Uhr gewesen, als sie
das erste Beben gespürt hatte. Wie lang war das her? Eine
Stunde, zwei? Die Hitze hatte ihr Denkvermögen stark
beeinträchtigt.
Und nun erzitterte der Boden wieder. Sie mussten hier raus:
Dieser Gedanke drängte sich in das von der Hitze
gelähmte Hirn. Wenn in einer solchen Situation jemand sein
Leben riskiert hatte, um sie zum Verlassen der Wohnung
aufzufordern, sollte sie dieser Aufforderung auch folgen.
Myra lag noch auf dem Rücken, aber sie atmete stetig. Wo
sie vorhin fast schon komatös gewirkt hatte, schien sie
jetzt nur zu schlafen. Bisesa rüttelte sie. »Komm
schon, Liebes. Du musst aufwachen.« Myra rührte sich
quengelig.
Bisesa richtete sich zuerst auf den Knien auf und kam dann auf
die Füße. Sie wankte in die Küche und fand eine
ungeöffnete Wasserflasche. Sie öffnete sie und trank;
die Brühe war zwar heiß, aber sie wirkte belebend. Sie
ging mit dem Wasser ins Wohnzimmer, um Myra auch etwas zu trinken
zu geben und suchte dann ein paar Kleidungsstücke
zusammen.
Sie gingen zur Treppe. In völliger Dunkelheit, die nur
von Bisesas blakender Kerze erhellt wurde, stolperten sie die
paar Treppenfluchten ins Erdgeschoss hinunter. Das Treppenhaus
war leer, aber die Stufen waren mit Abfall übersät:
Spielsachen, Kleidungsstücke, eine kaputte Taschenlampe
– Zeug, das die Leute bei ihrer überhasteten Flucht
verloren hatten.
Sie verließen das Haus und traten in ein dunkelrotes
Glühen. Unter der Kuppel war die Luft viele Stunden nach dem
Ausbruch des Sonnensturms stickig und mit Rauch
geschwängert. Leute eilten in westlicher Richtung auf der
Straße vorbei. Ihr Ziel war Fulham Gate, wie Bisesa sich
trübe bewusst wurde – ein Ausweg aus der Kuppel.
Der Riss in der Kuppel hatte sich verbreitert. Eine klaffende
feurige Narbe zog sich von der Spitze bis hinunter zum Boden und
endete irgendwo im Norden. Große brennende Teile brachen
von der Kuppel ab und fielen in einem steten Regen herab. Es war
dieser Vorhang aus Feuer, der die Szene um Bisesa erhellte.
Der Boden bebte wieder. Noch ein paar Erschütterungen,
und die ganze Kuppel brach vielleicht über ihnen zusammen.
Die Leute hatten kollektiv die richtige Entscheidung getroffen:
Sie suchten ihr Heil lieber außerhalb der Kuppel. Bisesa
zog Myra die Straße entlang, in Richtung des Tors.
Die noch schlaftrunkene Myra maulte wegen dieser etwas
unsanften Behandlung. »Was ist mit dem Erdbeben? Glaubst
du, das waren Bomben?«
»Bomben? Nein.« Bisesa war sicher, dass die
Flüchtlinge und Demonstranten, die für ihren Kleinkrieg
vor den Toren Londons sich zusammengerottet hatten, längst
vor den Stürmen geflohen waren – mit
größerer Wahrscheinlichkeit waren sie aber tot, wie
sie sich grimmig eingestand. »Ich glaube, dass es wirklich
ein Beben war.«
»Aber in London gibt es doch keine Erdbeben.«
»Das ist ein merkwürdiger Tag, Schätzchen.
Bedenke, dass die ganze Stadt auf einem Bett aus Ton erbaut
wurde. Wenn der austrocknet, senkt der Boden sich, und es bilden
sich Spalten.«
Myra schnaubte. »Da werden die Immobilienpreise aber in
den Keller gehen.« Bisesa lachte. »Komm! Es ist nicht
mehr weit. Schau mal, da ist das Tor schon…«
Hinter dem weit geöffneten Tor zeichnete sich ein roter
Himmel ab. Eine Menschenmenge, die aus verschiedenen Richtungen
zusammengekommen war, formierte sich zu einer Schlange, um das
Tor zu passieren. Bisesa und Myra gingen vorsichtig weiter.
Es war eine typische Londoner Menge mit Gesichtern, die die
Multikulturalität der Stadt widerspiegelten: London war
schon Jahrhunderte vor New York ein Schmelztiegel gewesen. Und in
der Menge waren Jung und Alt, Kinder in den Armen ihrer Eltern
und alte Leute, denen geholfen wurde. Runzlige alte Frauen und
Kinder mit großen Augen fuhren in Rollstühlen,
Schubkarren und Einkaufswagen. Als ein alter Mann erschöpft
stürzte, halfen zwei junge Frauen ihm auf und nahmen ihn
für den Rest des Wegs in die Mitte.
Alle sahen so schlecht aus, wie Bisesa sich fühlte. Die
meisten waren nur leicht bekleidet und schweißgebadet;
Männern klebte das Haar am Kopf,
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