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Sonnensturm

Sonnensturm

Titel: Sonnensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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und fleckige
Äpfel. Linda entschuldigte sich für die magere
Ausbeute, aber sie hätte noch dürftiger ausfallen
können; Bisesa verfolgte eifrig die Nachrichten und wusste
deshalb, dass in London faktisch ein strenges Rationierungssystem
herrschte.
    Bisesa bekam beim Auspacken von Einkaufstüten immer eine
nostalgische Anwandlung – das hatte sie jeden Freitagabend
mit ihrer Mutter getan, die den ›Großeinkauf‹
am Ende der langen Farmarbeitswoche der Familie erledigt hatte.
Nur dass die Gepflogenheiten sich inzwischen geändert
hatten; die meisten Lebensmittel wurden heutzutage per Telefon
oder Internet bestellt und dann ins Haus geliefert. Jedoch lagen
auch noch Tage nach dem 9. Juni die Transport- und Lieferservices
darnieder, sodass die Leute wieder selbst in die Läden gehen
und sich dem Ritual von Einkaufswagen schieben und an der Kasse
anstehen unterziehen mussten.
    Dies war eine völlig neue Erfahrung für Linda, und
sie beklagte sich auch wortreich. »Du kannst dir die
Schlangen nicht vorstellen. An den Fleischtheken stehen sogar
Ordner. Aber wenigstens funktionieren die Scannerkassen wieder,
sodass die Summe nicht mehr per Hand berechnet werden muss.
Trotzdem bleiben viele Leute immer noch hängen.« Ein
Bild, das man seit dem 9. Juni häufig sah, war die
auffällige Narbe am Unterarm von Personen, deren
implantierter Ident-Chip ersetzt worden war. Das Original war an
jenem Tag von der jähzornigen Sonne gelöscht und
verschmort worden.
    »Es gibt noch immer kein Wasser in Flaschen?«,
fragte Bisesa.
    »Nein, immer noch nicht«, sagte Linda. Reflexartig
drehte sie die Wasserhähne am Spülbecken auf, aber es
quoll kein einziger Tropfen Wasser heraus. Der Sonnensturm hatte
in Londons mehrere hundert Kilometer langem marodem
Leitungssystem korrosive Ströme induziert. Deshalb waren
trotz funktionierender Pumpen weite Teile der Stadt von der
Wasserversorgung abgeschnitten, bis die Ingenieure und ihre
intelligenten, kleinen maulwurfartigen Roboter das Leitungsnetz
wieder instand gesetzt hatten. Linda seufzte. »Sieht so
aus, als ob wir uns wieder mit den Duschsäulen behelfen
müssten.«
    In diesem Augenblick erschien in einer Ecke der Softwall ein
Luftbild von London, über das ein Gitternetz mit den Stellen
gelegt war, an denen noch immer Stromausfall herrschte. Ein paar
Blitze markierten Ausschreitungen, Plünderungen und andere
Fälle öffentlicher Unruhe. Blaue Sternchen zeigten die
Standorte von Duschsäulen an, die man hauptsächlich am
Themseufer aufgestellt hatte. Bisesa war durch diese Beweise
für die Widerstandsfähigkeit der alten Stadt
gerührt. Schon lang vor der Gründung Londons durch die
Römer hatten Kelten in Korakeln – lederbezogenen
Booten – auf der Themse gefischt, und nun zog es die
Londoner in dieser Krise des 21. Jahrhunderts wieder zu ihrem
Fluss.
    Linda schaute auf ihre schwieligen Handflächen.
»Weißt du, Bis, die Einkäufe schaffe ich schon
allein. Aber beim Wasser könnte ich doch etwas Hilfe
gebrauchen.«
    »Nein«, entfuhr es Bisesa. Dann schüttelte
sie den Kopf und besann sich. »Tut mir Leid.«
Reflexartig schaute sie zu Myra hinüber, die wieder dem
schillernden Faszinosum der Softwall-Soap erlegen war. »Ich
bin noch nicht so weit, wieder rauszugehen.«
    »Ich habe Aristoteles um Rat gefragt«, sagte Linda
in einem beiläufigen Ton und verstaute derweil weiter die
Lebensmittel.
    »Worüber?«
    »Platzangst. Das ist weiter verbreitet, als man glaubt.
Ich meine, woher sollte man sonst wissen, ob noch mehr Menschen
Gefangene in ihren eigenen vier Wänden sind? Sie würden
sich doch niemals begegnen! Aber es gibt Therapien.
Selbsthilfegruppen…«
    »Lin, ich weiß deine Anteilnahme zu schätzen.
Aber ich habe keine Platzangst. Und ich bin auch nicht
verrückt.«
    »Was ist dann…«
    »Ich brauche einfach mehr Zeit«, sagte Bisesa
lahm.
    »Ich bin hier, wenn du mich brauchst.«
    »Ich weiß…«
    Bisesa widmete sich wieder der Aufsicht von Myra und der
Softwall.
     
    Vielleicht war sie doch nicht verrückt. Trotzdem
vermochte sie Linda ihre merkwürdigen Erlebnisse nicht zu
erklären.
    Sie vermochte ihr nicht zu erklären, dass sie im Rahmen
des Friedenssicherungseinsatzes in Afghanistan mit ihrer Einheit
auf Patrouille gewesen war, dass sie plötzlich die Grenzen
von Raum und Zeit überschritten hatte, dass sie sich ein
neues Leben auf einer fremdartigen Patchwork-Erde namens Mir
eingerichtet

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