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Sonnensturm

Sonnensturm

Titel: Sonnensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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hatte – und dass sie durch ein Kaleidoskop
noch fremdartigerer Visionen irgendwie nach Hause
zurückgebracht worden war.
    Und das größte Mysterium vermochte sie ihrer
Cousine schon gar nicht zu erklären: dass sie noch am 8.
Juni 2037 in Afghanistan gedient hatte und am darauf folgenden
Tag, am 9. Juni – dem Tag des Sturms – hier in London
wieder aufgetaucht war. Nur dass in ihrer Erinnerung mehr als fünf Jahre zwischen diesen beiden Ereignissen
vergangen waren.
    Wenigstens hatte sie Myra wiedergefunden, die Tochter, die sie
schon verloren geglaubt hatte. Jedoch war diese Myra nur um einen Tag gealtert, während für Bisesa Jahre vergangen
waren. Und Myra, die ihre Mutter mit dem forschenden Blick eines
vernachlässigten Kindes studierte, bemerkte sicher die
plötzlichen grauen Strähnen im Haar und die vertieften
Falten um Bisesas Augen. Es gab eine Distanz zwischen ihnen, die
sich vielleicht nie mehr überbrücken ließ.
    Sie war so plötzlich und ohne Warnung aus dem vorherigen
Leben gerissen worden, dass sie von der Angst umgetrieben wurde,
irgendwie könne es wieder geschehen. Und deshalb vermochte
sie auch nicht aus dem Haus zu gehen. Es war nicht die Angst vor
offenen Räumen; es war die Furcht, Myra erneut zu
verlieren.
    Nach ein paar Minuten erteilte sie Aristoteles einen
geflüsterten Befehl. Er setzte die zwanghafte Suche nach
Nachrichten aus aller Welt und in den Datenbanken fort, die sie
befohlen hatte.
    Der 9. Juni war eine weltweite Katastrophe gewesen, der um
Größenordnungen schlimmste Sonnensturm, den die Erde
je erlebt hatte, und noch Tage später wurden
Aristoteles’ enorme Kapazitäten allein dadurch
ausgelastet, die Flut aus Wort und Bild zu bewältigen. Trotz
aller Bemühungen war Aristoteles jedoch nicht imstande, auch
nur einen einzigen Hinweis auf die silberne Sphäre zu
finden, die Bisesa an jenem unheilvollen Morgen über London
hatte schweben sehen – das Objekt, das ihre Kameraden auf
Mir als Auge bezeichnet hätten. Selbst an einem Tag
wie dem 9. Juni hätte ein solches über London
schwebendes Objekt ein außergewöhnlicher Anblick sein
müssen, das ultimative UFO, das weltweit Schlagzeilen
gemacht hätte. Doch niemand hatte es gemeldet.
    Es erschütterte Bisesa in den Grundfesten der Seele, dass
nur sie das Auge gesehen hatte. Weil das nämlich
bedeuten musste, dass sie, die Erstgeborenen, die
Mächte hinterm Auge und allem anderen, was ihr und
der Welt widerfuhr, etwas von ihr wollten.

 
{ 9 }
MONDLANDEANFLUG
     
     
    Am dritten Tag der Reise hing der Mond groß am schwarzen
Himmel.
    Siobhan musste den Kopf in den Nacken legen, um durch die
kleinen Fenster der Komarov aus gehärtetem Glas zu
spähen, das mit winzigem sternförmigem Steinschlag
durch kollidierende Mikrometeoriten übersät war. Als
sie dann die schmale Sichel des Mondes erspähte, packte sie
ein Schauder des Wunders. Welch ein Kontrast, sagte sie sich. Die
ganze Ereignislosigkeit des Flugs – der übliche
ungenießbare Fraß, den die Fluggesellschaften
servierten, die Raumkrankheit, die Zumutung, eine Null-G-Toilette
zu benutzen – war durch den Mond unterbrochen worden, der
sich aus der Dunkelheit geschält hatte, um sie willkommen zu
heißen. Mit seiner kühlen, massiven Eleganz hatte er
sich förmlich einen Weg in ihr Bewusstsein erzwungen.
    Aber das Faszinierendste war, dass selbst hier, in der Kabine
des Erd-Mond-Shuttles Komarov, ihr Mobiltelefon
funktionierte.
     
    »Perdita, fragen Sie doch bitte Professor Graf, ob er
wohl bereit wäre, für mich die Aufsicht über Bill
Carel zu übernehmen.« Bill war einer ihrer Doktoranden
und mit Spektralanalysen von Strukturen in der dunklen Energie
befasst. Der im Umgang schwierige, aber fähige Bill war die
Mühe wert; sie würde darauf vertrauen müssen, dass
der alte Joe Graf sich dieser Beurteilung anschloss. »Ach,
und fragen Sie Joe, ob er die Beweise meines aktuellen Essays im Astrophysical Journal handhabt. Er wird schon wissen, wie.
Sonst noch was? Mein Auto hat sich noch immer gesträubt, als
ich es zu starten versuchte.« Der Schock des 9. Juni hatte
die halbempfindungsfähigen Maschinen der Menschheit und die
Menschen traumatisiert; selbst nach ein paar Monaten hatten viele
sich immer noch nicht davon erholt. »Es braucht
wahrscheinlich ein bisschen mehr Zeit mit dem Therapeuten…
was noch?«
    »Du hast einen Zahnarzttermin«, sagte ihre
Tochter.
    »Ach wirklich. Verdammt.

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