Sonnensturm
Menschen hier zugange sein
und noch mal so viele Automaten – vielgliedrige Maschinen,
die sich in einem sonnenbeschienenen dreidimensionalen
Gerüst-Irrgarten bewegten. Es war ein eindrucksvolles, aber
auch komplexes und verwirrendes Bild.
»Erzählen Sie mir, was hier geschieht.«
»OK.« Bud deutete auf die Szenerie. »In der
Ferne sehen Sie, wie Schwerlastausrüstung diese Streben an
ihren Platz bringt.«
»Sie sehen wie Glas aus. Das Gerüst des
Schilds?«
»Ja. Mondglas. Wir erweitern die Struktur
spiralförmig um die Aurora, sodass wir in jedem
gegebenen Moment den Mittelpunkt des gesamten GDO genau hier an
L1 halten.«
»›GDO‹?«, fragte sie.
Bud wirkte verlegen. »Der Schild. Wir Astronauten haben
spezielle Akronyme.«
»Und es steht für…?«
»Großes Dummes Objekt. Eine Art
Insider-Witz.«
Nicolaus verdrehte die Augen.
»Die Streben werden auf dem Mond vorgefertigt«,
sagte Bud. »Aber die Haut fertigen wir hier oben selbst
– nicht etwa das intelligente Zeug, das von der Erde kommt;
nur die einfache prismatische Folie, mit der wir den
größten Teil des BDO bespannen werden.«
Er deutete auf einen Astronauten, der sich mit einem klobigen
Ausrüstungsgegenstand abmühte. Es sah aus, als ob er
ein riesiges aufblasbares Tier aus einer Kiste zöge. Es war
ein fast komischer Anblick, aber Miriam verkniff sich ein
Grinsen.
»Wir verwenden aufblasbare Mylar-Schablonen als Formen.
Der Entwurf der aufblasbaren Objekte ist an sich schon eine
Kunst. Die Aufstellungsdynamik muss berücksichtigt werden.
Beim Aufblasen muss das Mylar formstabil bleiben; es ist
nämlich nur so dick wie Gefrierbeutelfolie. Also simulieren
wir rückwärts, lassen die Luft aus der Form und
verstauen sie wieder in der Kiste, wobei wir genau darauf achten,
dass sie sich glatt zusammenlegt, ohne zerknittert oder gedehnt
zu werden…«
Sie hörte ihm weiter zu. Bud war offensichtlich stolz auf
die Arbeit, die hier verrichtet wurde und stellte sich den
Herausforderungen einer Umgebung, wo selbst die einfachste
Aufgabe wie das Aufblasen eines Ballons voller Unbekannter war.
Und irgendwie genoss der Weltraum-Freak in ihr seine
Ausführungen über ›Aufstellungsdynamik‹
und so weiter.
»Und wenn die Form dann fertig ist«, sagte er und
zeigte auf einen anderen Arbeitsbereich, »sprühen wir
die Folie auf.«
Ein Astronaut beaufsichtigte einen plump aussehenden Roboter;
er rollte auf einem Träger entlang, der vor einer
großen aufblasbaren Scheibe verlief. Der Roboter benutzte
eine Rolle, um eine glasige Oberfläche auf der
Mylar-Oberfläche der Scheibe einzuschmieren. Der ruhig vor
sich hinarbeitende Roboter vermittelte den Eindruck, als ob er
nichts Exotischeres tat, als eine Wand anzustreichen.
»Das Mylar kommt in massiven Blöcken von der
Erde«, sagte Bud. »Um eine Folie herzustellen,
erhitzt man das Zeug dann und presst es durch heiße
Düsen, sodass man Faserstränge erhält. Dann
lädt man das Zeug positiv auf und nimmt als
Zieloberfläche eine negative Elektrode, sodass der
Polymerstrang wie ein Kaugummi lang gezogen und auf ein paar
Promille der ursprünglichen Dicke reduziert wird. Auf der
Erde wäre das gar nicht zu machen; die Schwerkraft
würde es verhindern. Aber hier oben spritzt man es einfach
auf, lässt die Luft aus der Form und schält es
ab.«
»Einer von diesen Robotern sollte auch mal meine Wohnung
streichen.«
Er lachte, aber es war ein bisschen gezwungen, und sie wurde
sich schmerzlich bewusst, dass jeder, der hierher kam, einen
ähnlichen Witz machen musste.
»Mit den Robotern, Maschinen und Verfahren gibt es keine
Probleme. Aber das Herz dieses Orts sind die Menschen.«
Er warf einen Blick auf sie. »Ich komme aus einem
Bauernhof in Iowa. Als Kind hatte ich immer gern Geschichten von
Leuten wie meinem Vater und seinen Kumpels gelesen, die im
Weltall oder auf dem Mond arbeiteten. Bis dahin ist es aber noch
ein langer Weg. Das ist immer noch der Weltraum, eine
tödliche Umgebung, und die Arbeit, die wir leisten, ist hoch
qualifiziertes Ingenieurwesen. Jeder dieser Arbeiter da
draußen hat mindestens einen Doktortitel. Also nicht der
typische Malocher. Aber sie haben das Herz – wissen Sie,
was ich meine? Sie arbeiten rund um die Uhr, um diese Aufgabe zu
erfüllen, und manche von ihnen sind schon seit Jahren hier
oben. Und ohne dieses Herz würde trotz allen technischen
Geräts nichts gehen.«
»Ich verstehe«, sagte sie
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